Leben auf Abruf

■ Zwei Bände des „Vereins SO 36“ zur Stadtteilgeschichte: „...außer man tut es“

Was den Touristen die „Kreuzberger Nächte“ sind, ist den BewohnerInnen im Kiez die „,Kreuzberger Mischung‘ ... von Wohnen und Arbeiten, von Nah- und Feierabenderholung mit einem engen Infrastrukturnetz und der Quartiersöffentlichkeit auf den Straßen und Plätzen“. Klaus Duntze, Pfarrer in Kreuzberg, hat diesen Begriff 1977 geprägt, und schon damals stand die vielzitierte Mischung vor dem Aus: „Noch dreht der Drechsler Wulf am Mariannenplatz im zweiten Hinterhof im Keller mit Transmissionsriemenübertragung die schönsten Stücke für die Frankfurter Messe... Er lebt, wie sie alle, von den billigen Mieten und den Resten der Gewerbeketten. Auf Abruf.“ Duntzes Stadtteilporträt kann man nachlesen in der Stadtteilgeschichte Kreuzbergs, die der Verein SO 36 in zwei Bänden herausgegeben hat. Eine Stadtteilchronik ist darin ebenso enthalten wie die Geschichte Kreuzbergs unterm Hakenkreuz und in der Nachkriegszeit. Den größten Raum nehmen die Konflikte der letzten 20 Jahre sowie Einschätzungen zu den Perspektiven ein. Der Mythos Kreuzberg wird in dieser Chronik nicht bemüht. Eine Idylle war der Bezirk nur für diejenigen, die nicht täglich um ihre materielle Existenz kämpfen mußten. Dennoch: Die Geschichte Kreuzbergs, das machen die Bände deutlich, ist auch die Geschichte der Widerspenstigkeit seiner Bewohner. wera

„...außer man tut es“. Zwei Bände je 16,80 DM. Zu beziehen über den Buchhandel oder den Verein SO 36, Wrangelstraße 40, 1-36