: Die Mehrheit der Immigranten wünscht den Brückenschlag
■ Interview mit Yilmaz Karahasan, dem Hauptvorstandsmitglied der IG Metall, über das politische Klima im Land
taz: Herr Karahasan, nach dem Anschlag in Mölln, im vergangenen Herbst, haben Sie gesagt, auch die Gewerkschaften müßten gegen den rechtsradikalen Terror mehr tun und neue Initiativen entwickeln. Seit Mölln hat es viele Übergriffe und Anschläge gegeben. Jetzt die fünf Toten von Solingen. Wäre nun nicht ein deutlicheres Zeichen seitens der Gewerkschaften erforderlich? Von bundesweit organisierten Arbeitsniederlegungen ist bei der IG Metall nicht die Rede. Warum nicht?
Yilmaz Karahasan: Das stimmt ja nicht. Unser amtierender Vorsitzender, der Kollege Klaus Zwickel, hat schon am Mittwoch in einer Presseerklärung die Kolleginnen und Kollegen in den Betrieben aufgefordert, heute und morgen die Arbeit niederzulegen und Mahnminuten zu organisieren. Man kann nicht sagen, daß wir als Gewerkschaften zuwenig getan hätten. Wir haben nach den schlimmen Ereignissen von Mölln als IG Metall zusammen etwa mit antifaschistischen Gruppen, beispielsweise dem Forum „Buntes Deutschland“, die Aktion „Courage“ ins Leben gerufen und auch in die Betriebe hineingetragen. Da gab es viele Aktionen.
Sowohl die IG Metall insgesamt wie auch ich persönlich als geschäftsführendes Vorstandsmitglied haben immer wieder deutlich gemacht, daß zwar die Lichterketten und vergleichbare antifaschistische Aktionen sehr wichtig und richtig sind, das Handeln der Politik in diesem Land aber nicht ersetzen können. Die Politik muß endlich Deutschland als ein faktisches Einwanderungsland anerkennen und daraus die richtigen Konsequenzen ziehen. – Wir haben eine multikulturelle Gesellschaft, und alle Mitglieder dieser Gesellschaft müssen rechtlich wie politisch gleichgestellt werden. Als ersten Schritt fordert die IG Metall seit Jahren die Einführung des kommunalen Wahlrechtes, und ich sage seit Monaten, daß die doppelte Staatsbürgerschaft nicht irgendwann, sondern sofort verwirklicht werden muß. Wenn in der Gesellschaft ein anderes, ein positives Klima herbeigeführt werden soll, dann müssen diese Forderungen von der Politik umgesetzt werden, weil sie auch ein Erfordernis der Demokratie sind.
Wie bewerten Sie die gewalttätigen Auseinandersetzungen nach dem Mordanschlag von Solingen? Signalisiert dieser Ausbruch vieler Immigrantenkinder, daß es mit der bisher von ihren Eltern praktizierten Duldsamkeit jetzt ein Ende hat?
Menschlich kann man diese Reaktionen von jungen Türken und anderen Menschen auf die Morde natürlich verstehen. Aber es darf nicht zu einer Eskalation der Gewalt kommen. Wenn man Gewalt mit Gegengewalt beantwortet, löst man nicht die Probleme, sondern man schafft neue. Die nichtdeutschen Kolleginnen und Kollegen sind nicht wehrlos. Sie müssen sich politisch viel deutlicher artikulieren und in der Öffentlichkeit klarmachen, daß diese Morde nicht die Taten von Einzelgängern sind. Man muß sich die Frage stellen, in welchem politischen Klima solche grausamen Taten erst möglich werden.
Da muß man die führenden Politiker auch mitverantwortlich machen, weil die Politik seit Jahren eine Negativdiskussion mit unsäglichen Begriffen wie „Asylantenflut“, „durchraßte Gesellschaft“ und und und geführt hat. Dadurch wurde das gesellschaftliche Klima so vergiftet, daß sich bestimmte Kräfte geradezu berufen fühlten, in dieser grausamen Weise zu handeln. Die Bundesregierung und die konservativen Politiker in Deutschland müssen darüber hinaus endlich begreifen, daß zwischen den rassistischen Angriffen der jüngsten Zeit und der Politik des Sozialabbaus, der Vernachlässigung von Jugendlichen, der Verbreitung der Sündenbocktheorie und der Verunglimpfung von nichtdeutschen Bürgerinnen und Bürgern ein direkter Zusammenhang besteht.
Kommt eine solche politische Wende nicht fast schon zu spät? Haben viele der nichtdeutschen Jugendlichen das Vertrauen in die deutsche Politik nicht längst verloren. Versuchen sie nicht gerade deshalb, die Probleme auf eigene Faust zu lösen?
Davor würde ich warnen. Die nichtdeutschen Jugendlichen sind eine gesellschaftliche Minderheit in diesem Land. Wenn sie die Diskriminierungen und Ausgrenzungen bewältigen wollen, dann können sie das nur in Zusammenarbeit mit den Deutschen. Deshalb darf hier keine Grenze zwischen Deutschen und Nichtdeutschen gezogen werden, sondern die Grenze verläuft doch eigentlich zwischen Kapital und Arbeit, wenn ich das ein bißchen traditionell beschreiben darf. Deshalb müssen alle abhängig Beschäftigten die Lösung der Probleme gemeinsam angehen.
Gibt es ein neues Bedürfnis nach Abgrenzung?
Ich denke schon, daß die übergroße Mehrheit der Immigranten ein Zusammenleben, den Brückenschlag zwischen den Kulturen und gemeinsame Aktionen wünscht. Allerdings will ich nicht verschweigen, daß es auch unter türkischen Kolleginnen und Kollegen rechtsextremistische oder nationalistische Strömungen gibt. Aber man darf nicht Gewalt mit Gegengewalt, Nationalismus mit Gegennationalismus beantworten. Das eskaliert, würde allen rechtsextremistischen und konservativ- reaktionären Kräften in die Hände arbeiten.
Bundeskanzler Kohl wahrt bewußt Distanz zu den Opfern des rassistischen Terrors. Auch der Kölner Trauerfeier blieb er fern. Wie bewerten Sie ein solches Verhalten?
Ob er teilnimmt oder nicht, ist mir, ehrlich gesagt, nicht so wichtig. Wichtig ist mir, daß er unsere Forderungen zur Gleichstellung endlich umsetzt. Die pauschale Verurteilung der Gewalt durch Kanzler Kohl ist zwar richtig, reicht aber nicht. Jetzt muß durch politische Initiativen ein neues Klima geschaffen und die Verbreitung der Sündenbocktheorie und der Ellenbogenideologie gestoppt werden. Interview: Walter Jakobs
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