: Gefühle ausstellen
■ „Die Nacht“ – Ein Tanzstück von Helge Musial am Halleschen Ufer
Schwarz ist das Haar und der Kajal um die Augen, schwarz sind die Lippen, das Samtkleid und der durchsichtige Crêpe de Chine, der sich um den Körper hüllt: Gayle Tufts ist die dunkle Herrscherin der düsteren Traumvisionen, die Helge Musial mit seinem Tanzstück „Nacht“ auf die Bühne des Theaters am Halleschen Ufer bringt. „Do you fear the dark of the night“, singt Gayle Tufts und lockt: „I will guide you – if you want.“ Doch von wünschen kann gar keine Rede sein, die Schlafenden sind ihr ausgeliefert wie Seeleute den Sirenen. „Wake up, wake up“, flüstert es aus dem Off, derweil Gayle Tufts einen tief in Schlaf Versunkenen (Norbert Kliesch) im überdimensional großen Bett auf die Bühne rollt. Abschüssig ist das Bett und ohne Decke, kein Ort heimeliger Geborgenheit, sondern völliger Preisgabe. „Wake up, wake up“, flüstert die Stimme, doch Gayle Tufts als schwarze Alptraumerscheinung schlägt den Schlafenden ganz in ihren Bann. Wenn sie genüßlich die Arme streckt, rollt der zuckende Körper des Schlafenden quer durch das Bett, und läßt sie sich unter leisem Gelächter auf einer Bettkante nieder, so schlägt er am diagonal anderen Ende autistisch gegen die Stahlstangen. Das Entsetzen zu keinem rettenden Schrei, keinem rettenden Erwachen finden zu können, kulminiert im erstickenden, tödlichen Kuß: Der mächtige Körper beugt sich über den in weißer Unterwäsche Daliegenden, und kein Aufbäumen kann ihn aus der Umklammerung dieses Kusses befreien.
Helge Musial gelingt nur in dieser einen Szene solch eindringliche Bildlichkeit, meist bleiben die Traumvorstellungen vordergründiger Anlaß zu Tanzsequenzen, die so leider ins Leere laufen. Unentschieden zwischen dem Wunsch, Geschichten zu erzählen und seiner Abstraktion werden die Arme gen Schnürboden gereckt und Grimassen gezogen und zwischendurch ganz wunderbar getanzt: Geschichten werden verweigert und gleichzeitig wird mit plakativer Gestik und Mimik genau auf solche verwiesen. Im schwarzen kurzen Sportlerbody, das am Rücken geschnürt ist wie ein Boxhandschuh, wirbelt Sabine Lemke über die Bühne. Sie friert kurz in kämpferischen Posen ein, malträtiert einen einsamen Stuhl, der schließlich krachend im Off landet und fixiert grimmig einen imaginären Feind: das ist der Zorn. Gefühle werden ausgestellt, statt in subtile Bildlichkeit umgesetzt. Wenn Helge Musial und Norbert Kliesch sich in die Arme springen, prallen die Körper voller Wucht aufeinander, rollen über den Bühnenboden und das ist großartig anzusehen, aber leider hört man nicht auf, sich zu fragen, warum sie das tun – vielleicht erzählen Träume so verschlüsselt von Dingen, daß sie sich der Deutung entziehen, aber sie erzählen nicht nichts. In der Darstellung eines Liebespaares, das sich um und auf einem gelben (Küchen-)Tisch balgt (er der Gierige, sie die Zickige), rutschen Sabine Lemke und Norbert Kliesch über die Schwelle der Peinlichkeit: Wer so platt angegrapscht wird, muß sich in der Öffentlichkeit der Bühne zur Wehr setzen. Durchgängig herausragend ist die Lichtregie, und immer wieder gibt es gute Ansätze, die aber im Sumpf der Unklarheit steckenbleiben. Gayle Tufts Schlußlied ist so verheißungsvoll, daß man denkt, jetzt könnte es doch eigentlich anfangen. Michaela Schlagenwerth
„Die Nacht“: 6.6., 8.–13.6. um 20Uhr im Theater am Halleschen Ufer
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