piwik no script img

Karlsruher Urteil zum Paragraph 218

Da erschienen sie denn, die Herren aus dem Elfenbeinturm in ihren roten Roben – der weibliche Bevölkerungsteil unterproportional vertreten mit einer Alibi-Dame – und verkündeten ihr Urteil „Im Namen des Volkes“. Ja, welches Volk meinen denn die?

Die da einst riefen „Wir sind das Volk!“, die können ja wohl nicht gemeint sein. Auch nicht das Volk, dessen Vertreter im Deutschen Bundestag mehrheitlich demokratisch zu einer ganz anderen Entscheidung gelangt waren. Vielleicht meinen sie ja das Volk, das zu einer anderen Zeit, unter anderen Bedingungen, unsere Verfassung formuliert hat. Aber würden die heute noch so entscheiden, in einer Welt, die sich seither, und nicht unbedingt zum Besseren, wie nicht nur alte Mütterchen meinen, weiterentwickelt hat? [...] Gabriele Fritzsche, Berlin

Fragen an eine Beratungsstelle (Ein fiktives Beratungsgespräch)

Beratungsstelle: Familienstand?

Karla Baum: Geschieden.

Kinder?

Ja, zwei.

Schwangerschaften?

Drei. Ja. Ich habe abgetrieben! Aus Verantwortung für die zwei geborenen Leben – und mich.

Und der Vater des Dritten?

Schon zum Zeitpunkt der Befruchtung war uns beiden klar, daß die Beziehung leider nicht von Dauer sein würde. Ich war allein mit meinen beiden Kleinkindern, ohne abgeschlossene Ausbildung, als ich die Entscheidung traf.

Und wie schätzen Sie Ihre familiäre Situation jetzt ein?

Haben Sie einen Krippenplatz zu vergeben?

Nein.

Können Sie Kindergartenplätze beschaffen?

Nein.

Können Sie für ein ausreichendes Erziehungsgeld sorgen?

Nein.

Garantieren Sie für die Erhaltung meines Arbeitsplatzes und gleichberechtigte Aufstiegschancen?

Nein, das können wir nicht.

Können Sie preiswerte größere Wohnungen ohne Einzugsverbot für Kinder vermitteln?

Das ist nicht unsere Aufgabe.

Kämpfen Sie für eine angemessene Anrechnung der Erziehungszeiten auf die Rentenberechnung?

Aber gute Frau! Unser Beratungskonzept richtet sich auf den Schutz des Lebensrechtes und die Achtung der Menschenwürde des Ungeborenen. Wir wollen positive Voraussetzungen für ein Handeln der Frau zugunsten des ungeborenen Lebens schaffen! Machen Sie doch, was Sie wollen, wenn das Balg erst da ist. Der Staat wird's schon schützen. Schließlich leben wir in einem Sozialstaat!

Ihre Unterschrift und den Stempel bitte. Ach, übrigens, kennen Sie vielleicht jemanden, der's etwas billiger macht, so gewissermaßen...? (Dauer des Gesprächs vier Minuten 35 Sekunden.) Karla Baum

Wir begrüßen, daß das Bundesverfassungsgericht das Grundrecht auf Leben auch den ungeborenen Kindern ausdrücklich zuerkennt und diese als eigenständige Rechtspersonen anerkennt. Damit wird den medizinischen Erkenntnissen über den Zeitpunkt des Beginns menschlichen Lebens Rechnung getragen. Den Fortfall des Strafrechts jedoch, den das BVerfG-Urteil ermöglicht hat, ist problematisch, da die rein nominale Bezeichnung „rechtswidrig“ kaum einen Schwangerschaftsabbruch verhindern wird.

Man darf aber nicht glauben, daß ein Gesetz allein ausreicht, um das ungeborene Leben wirkungsvoll zu schützen. Hierzu ist vor allem ein Umdenken unserer Gesellschaft erforderlich. Denn leider gilt bei uns ein Kind oftmals weniger, als Konsumgüter oder Karriere. Solange unsere Gesellschaft nicht wirklich kinderfreundlicher geworden ist, so lange wird es nicht gelingen, die Kinder in der Anfangsphase ihres Lebens besser zu schützen.

Zum Schluß ein kritisches Wort an die Adresse der Bundesregierung: Die geplante Kürzung des Kindergeldes und ähnliche Entscheidungen dürften wenig geeignet sein, einer Schwangeren zu helfen, sich für ihr Kind zu entscheiden. Soziale Hilfen dürfen nicht gekürzt, sondern müssen verstärkt werden, um ungeborenes Leben zu schützen. André Meyer, Jolanta

Fieber-Bajorski, Leszek Bajorski,

Lübeck

An den Herrn Bundespräsidenten, 5300 Bonn

Sehr geehrter Herr Bundespräsident,

Sie können nicht hinnehmen, daß der Zweite Senat im „Abtreibungsurteil“ falsches und irreführendes Deutsch spricht: Er versteht unter „Beratung“ durchweg „Beeinflussung“ bzw. „Bedrängung“. Das verbindlich vorgeschriebene Aufsuchen einer Stelle, die in verbindlicher Zielrichtung zu „beraten“ hat, heißt „Beeinflussung“.

Eine Beratung läge vor, wenn die Zielrichtung offen oder, wie im Arzt- und Anwaltsgespräch, vom Patienten oder Mandanten vorgeschrieben wäre. Beratung und Beeinflussung sind zwei so unterschiedliche Dinge wie Warnung und Drohung. Prof. Dr. Dr. Hubert Rodingen, Ralf Minnebusch, Elke Hollmeier, Petra Broska, Michael Hermes, Hans Wilmer, Ilona Hickstein, Anja Schild, Susanne Batke, Lübeck, Münster, Borken und Altenberge

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen