: Was bleibt: Spielplätze, Büsche und Bronzetäfelchen
■ „Bremen im Dritten Reich“: alternative Radwanderung im Bremer Westen
AnwohnerInnen berichteten immer wieder von nächtlichen Schreien und Mißhandlungen, die sie von ihren Balkons aus beobachtet hatten: Mitten in einem Findorffer Wohnbezirk waren sämtliche Bremer politischen Gefangenen interniert: in einem Haus, das im vorigen Jahrhundert als Unterbringungshalle für AuswanderInnen genutzt worden war. Am 29. März 1933 hatten dort die Nationalsozialisten das erste sogenannte „wilde“ Konzentrationslager, das KZ Mißler, errichtet.
Zum Gedenken hängt in der Walsroder Straße nur eine kleine Bronze-Tafel an einer Garagenwand — inmitten blühender Vorgärten. Wir stehen vor der ersten Station der alternativen Stadtführung mit dem Sozialwissenschaftler Lutz Liffers, Thema: „Bremen im Dritten Reich“. Eine kleine Radtour durch den Bremer Westen liegt vor uns; dort haben die Nationalsozialisten zwar keine faschistische Bremer Hochburg aufgebaut, aber einzelne Plätze und Gebäude zeugen doch vom Ausbau nationalsozialistischer Machtherrschaft und Ideologie auch in Bremen. Und zeigen, wo zunächst die längste und unbarmherzigste Auseinandersetzung zwischen den Faschisten und linksgerichteten Gruppen tobte.
Selbst nach Hitlers Machtergreifung wurde im „roten Bremen“ Anfang 1933 noch gegen die NSDAP und ihre Machenschaften demonstriert.
Groß war die Gemeinde der GewerkschafterInnen gewesen — mit über 7.000 Mitgliedern die größte in Deutschland —, die seit 1925 über ein eigenes Haus verfügte, das „Volkshaus“ auf dem Kamp in Walle; in dem ist heute das Sozialamt untergebracht. Hier und auf dem Spielplatz an der Nordstraße leisteten SozialdemokratInnen wie KommunistInnen so lange Widerstand, bis auch sie am 2. Mai 1933 „gleich-“ und damit ausgeschaltet wurden.
Deutsche Bank statt KaDeWe
Wir radeln weiter über die Nordstraße die Bremerhavener Straße hoch. Ein schmuckes rosa Wohnhaus an der Ecke Vegesacker Straße war früher das „Kaufhaus des Westens“, sein Besitzer Bruno David, ein Jude. Enteignung und Arisierung jüdischer Betriebe und Geschäfte haben die Nazis auch in Bremen systematisch betrieben, im Fall des KaDeWes tatkräftig unterstützt von der Deutschen Bank, die heute im Erdgeschoß des Gebäudes residiert.
Das „Gesetz zum Schutze der Bevölkerung vor Belästigung durch Zigeuner, Landfahrer und Arbeitsscheue“ wurde in Bremen schon am 10. August 1933, vor dem Erlaß im Reich, verkündet. Im Waller Friedhof, der wie selten ein anderer Bremer Geschichte erzählt, erinnert das Grab der Roma- Familie Rose an die schrecklichen Ermordungskampagnen unter Himmler. Die auch vor den mehr als 6 Millionen ZwangsarbeiterInnen in Bremen nicht haltmachten.
Klein und unscheinbar versteckt sich ein Massengrab mit 45 polnischen Frauen auf dem Waller Friedhof. Der Pförtner weiß, wo es sich befindet.
Schon kurz nach Kriegsbeginn hatte Bremen als Wasserstadt auch wichtige wirtschaftliche und militärische Funktionen übernommen. Bremens Industrie boomte durch die Rüstungsproduktion der Nazis, die vor allem in der AG Weser den U-Boot-Bau vorantrieben. Am Waller Holz- und Fabrikenhafen erfahren wir, daß die dazu eingesetzten ZwangsarbeiterInnen 1944 ein Drittel der Wohnbevölkerung in Bremen ausmachten; sie wurden gedemütigt, gefoltert und ermordet.
„Bremen im Dritten Reich“ — eine Führung, die uns den Nährboden für Faschismus und Antisemitismus nahebringt und sich ausgezeichnet für antirassistische Bildungsarbeit eignet.
Silvia Plahl
Informationen bei dem Veranstalter „Stadt, Land, Fluß“, Tel. 505037.
Nächste Führungen am 20. Juni und am 27. Juni. um 10.30 Uhr, Treffpunkt Hemmstr./Ecke Walsroderstraße
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