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Vom Landwehrkanal nach Indonesien

■ Viele Berliner Gruppen und Firmen entwickeln Technologien für die "Dritte Welt" / Das "Forum Angepaßte Technologie", gegründet von Nichtregierungsorganisationen, will mittels einer Studie...

Wenn in Indonesien demnächst eine Gruppe von ÄrztInnen und Krankenschwestern vom Gesundheitszentrum aufs Land fährt, um in entfernten Dörfern die Kleinkinder zu impfen, dann nehmen sie die notwendigen Impfseren aus dem solarbetriebenen, batteriefreien Kühlschrank. Im Auto haben sie vielleicht einen kleinen, zylinderförmigen Behälter dabei, der auch auf weiten Strecken die Medikamente schön kühl hält. Das – auch solar aufladbare – Gerät ist an den Zigarettenanzünder des Wagens angeschlossen, und selbst wenn der kaputtgeht, hält sich die Kühle noch mindestens zwölf Stunden, bei einer Außentemperatur von 32 Grad. Die sechzig Zentimeter hohe Röhre hat's in sich: Das Ding ist gespickt mit High-Tech- Bauteilen, zusammengelötet in Berlin-Kreuzberg, Paul-Lincke- Ufer 41. Wo sich in den Cafés am Kanal Menschen in der Sonne aalen, wird im zweiten Hinterhof bei „Wuseltronik“ an Techniken getüftelt, wie Sonne und Wind nutzbar zu machen seien. Das Geld für die Entwicklung kommt zu 50 Prozent vom Bundesministerium für Forschung und Technik. Die Prototypen sind fertig, nun muß getestet werden.

Die sechs Ingenieure des 1978 gegründeten „Alt-Kollektivs“ arbeiten vor allem an Techniken zur Nutzung regenerativer Energien, die hier in der Bundesrepublik zum Einsatz kommen sollen. Der Solarkühlschrank und das mobile Kühlgerät – deren für Laien verständlichste Neuerung es ist, daß sie die Sonnenenergie, umgesetzt in Kühlung, ohne Batterien lange halten können – sind Ausnahmen.

Schon lange kooperieren die Wuseltroniker mit der IPAT, der „Interdisziplinären Projektgruppe für Angepaßte Technologie“. Seit zwanzig Jahren bemüht sich die seit kurzem bei der Humboldt- Universität angesiedelte Gruppe von WissenschaftlerInnen verschiedener Fachrichtungen um die Entwicklung Angepaßter Technologien für den Einsatz in der „Dritten Welt“. Fast alle, die in Berlin in diesem Bereich arbeiten, standen einmal im Kontakt mit der IPAT.

IPAT und „Wuseltronik“ sind nicht die einzigen, die in Berlin an der Entwicklung von Angepaßten Technologien für die „Dritte Welt“ beteiligt sind. Der Verein „KATE e.V.“ in der Zionskirchstraße beispielsweise, 1988 noch zu DDR-Zeiten gegründet, führt derzeit ein Projekt in Peru durch, ein weiteres in Kuba ist in Vorbereitung. In Peru soll mit Hilfe des Extraktes einer örtlich vorhandenen Kakteenart verschmutztes Trinkwasser wiederaufbereitet werden – ein traditionelles Verfahren. Mit Geld und Beratung von KATE soll damit der Verbreitung der Cholera durch verschmutztes Trinkwasser im Nordwesten Perus Einhalt geboten werden.

Ob so etwas funktioniert, hängt auch davon ab, ob die Projekte mit den lokalen Organisationen gut abgesprochen sind. Und selbst dann kann es zu Fehlschlägen kommen, wie Mitarbeiter einer anderen Gruppe berichten.

Die Idee war einleuchtend: Überall in den ländlichen Regionen der „Dritten Welt“ gibt es den Bedarf, Maschinen einzusetzen. Ob nun der geerntete Mais gemahlen werden soll oder die Ölfrüchte gepreßt – Maschinen müssen ran. Und die gibt es oft nicht, genausowenig wie Diesel oder gar Elektrizität. Aber Zugtiere gibt es, die nicht ausgelastet sind. So wurden denn Prototypen für zugtiergetriebene Maschinen entwickelt, für die anschließend Einsatzgebiete gesucht wurden. Zum Beispiel sollten Zugtiere eine Getreidemühle betreiben. Problem nach der Installation: Die Mühle mahlte langsam, zu langsam. Die Bauern, die bislang beim privaten Besitzer einer motorgetriebenen Motormühle ihr Korn verarbeitet hatten, akzeptierten die Zugtiervariante nicht. Vielmehr schimpften viele auf die internationalen HelferInnen, hier eine „Steinzeittechnologie“ angeschleppt zu haben.

Offensichtlich also braucht man für die erfolgreiche Einführung von Techniken zumindest Menschen, die sich mit den örtlichen Gegebenheiten, also auch mit den Vorlieben und Traditionen der Betroffenen besonders gut auskennen. Wo die sitzen, muß man erst mal wissen, und insbesondere das eventuelle Potential der neuen Bundesländer ist weitgehend unbekannt. Dem will nun ein von großen Nichtregierungsorganisationen der Bundesrepublik vor kurzem gegründetes „Forum Angepaßte Technologie“ abhelfen. Eine Studie soll erstellt werden, und den Zuschlag dafür erhielt die AGEF, die „Arbeitsgemeinschaft Entwicklung und Fachkräfte GmbH“ in der Georgenkirchstraße in Friedrichshain.

Ab Juni wird die AGEF versuchen, ausgehend von ehemaligen oder noch bestehenden Entwicklungsprojekten der Ex-DDR zu ermitteln, welches Potential es in den neuen Bundesländern im Bereich der Angepaßten Technologie gibt. Joachim Pohl von AGEF geht davon aus, daß vor allem nutzbares Fachwissen („Software“) bei den über 700 ExpertInnen vorhanden sein wird, die im Auftrag der DDR Jahr für Jahr in befreundete Entwicklungsländer gesandt wurden. Direkt einsetzbare Technik aber sei kaum vorhanden, glaubt Pohl, der selbst zwanzig Jahre lang im Dienst der DDR als Entwicklungsexperte gearbeitet hat.

Zwar wurde auch in der DDR für Entwicklungsländer produziert. Wenn aber Eisenbahnanlagen vom Berliner „WSSB Signaltechnik“ exportiert wurden, dann „hat das mit Angepaßter Technologie nichts zu tun“. Und wenn DDR-Traktoren für den Einsatz in Guyana mit Ballonreifen ausgerüstet wurden, um in den Reisfeldern nicht einzusacken, dann waren das zwar Ansätze von Technologieanpassung, aber „nur ganz punktuell“, wie Pohl sagt. Und daß in ländlichen Elektrifizierungsprojekten teilweise Holz als Brennstoff eingesetzt wurde, „darf man ja heute kaum noch erzählen“.

„Angepaßte Technologie“ im Wandel der Zeiten – das ist in den Annalen von IPAT, Wuseltronik und vielen anderen wie im Museum zu beobachten. Solange es Geldgeber gibt, wird in den verschiedenen Projekten weiter an Techniken für den Einsatz in der „Dritten Welt“ gebastelt werden. Ein leichtes Unwohlsein ist wohl immer dabei, wenn für die „Dritte Welt“ Konzepte dezentralisierter, umweltgerechter Produktion entwickelt werden. Clemens Triebel von Wuseltronik: „Wenn wir vor der eigenen Haustür nicht kehren können, dann können wir's auch nicht woanders machen.“ Bernd Pickert

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