■ Berlinalien: Schloßgespenst in Berliner Kulisse
Als jüngst Berlins Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer auf einer Architektenrunde kundtat, daß ein Scheitern der Planungen für den Marx-Engels- Platz die Schloßrekonstruktion wieder salonfähig mache – die Pläne lägen ja in den Archivschubladen, man brauche sie nur herauszuziehen – brach unter einigen Baumodernisten hektisches Treiben aus: Dekonstruktivistisches Material wurde auf den Reißbrettern geknetet, der sozialistische Palast der Republik postmodern verkleidet oder ein aus Bonn importierter Bürokratenkoloß einfach hochgezogen. Bei dem Senator gaben sich Architekten, Politiker und gar ein Philosoph die Türklinke in die Hand – unter dem Arm Pläne für Konferenzzentren oder die „Universität 2000“. Nicht unbedingt Argumente gegen das Schloß!
Unter klarsichtigen Berlinern ist entschieden, daß eine Kopie des 1950 gesprengten Hohenzollernbunkers nicht mehr in Frage kommt. Architektonischer Mummenschanz unter dem Ostberliner Fernsehturm, zwischen Plattenbauten und Schinkels Lustgarten bedient nur die nostalgische Sehnsucht der ewig Gestrigen. Etwas Neues, etwas Besseres muß her.
Andererseits geht die Angst vor dem Schloßgespenst deshalb um, weil sich derzeit auf dem Marx-Engels-Platz ein Baugerüst in den Dimensionen des einstigen Stadtschlosses in die Höhe schraubt. Von reichen Kaisertreuen und verrückten Geschichtsphantasten des „Vereins Berliner Stadtschloß“ initiiert, behängt die Pariser Künstlerin Catherine Feff die Eisenstangen mit Kunststofflappen. Auf diesen ist die Schloßfassade im Originalmaßstab abgebildet, so mies allerdings, daß sich der olle Schlüter, Baumeister unter dem Soldatenkönig, im Grabe umdrehen würde.
Die rückwärtsgewandte Vision schimmert in gelbbraunen Farben, schlabbert ein wenig im Wind und läßt höchstens einige Touristenbusse kurz abbremsen. Die Absicht der Schloßfans, mit der Kulisse baupolitische Vorentscheidungen zu lancieren, geht nicht auf. Zu offensichtlich verstellen die flatternden Kulissenbahnen die Annäherung an das versunkene Gebäude. – Die Stadtschloßgeschichte wird sich als Farce wiederholen, behaupte ich. Pickelhauben sind selbst in unseren Zeiten nicht mehr angesagt. Schon weigern sich Berliner, ihren Weg über den Lustgarten zu nehmen. Reißt der Wind nicht die Bahnen von den Stangen, werden es vielleicht andere tun. Der Gerüstkäfig bereitet schon jetzt Hobbykletterern großen Spaß. Zu bedauern ist allerdings, daß der Vorstellungskraft eine vernünftige Lösung versagt bleibt. Das Vakuum in der Berliner Mitte wird noch von keinem Common Sense, keiner baulichen Vorstellung demokratischer Identität gefüllt. Im Augenblick schlägt das Pendel noch nach der anderen Seite aus: Durch das Auffinden von Asbest werden Abrißwünsche beschleunigt. Rolf Lautenschläger
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