Anknüpfen an die Traditionen der Emanzipation

■ In Frankfurt riefen PolitikerInnen deutscher und ausländischer Herkunft zum Widerstand der „zivilen Gesellschaft“ gegen den „stinknormalen Rassismus“ auf

Zwischen Basler und Züricher Versicherung und Mövenpick versammeln sich rund 5.000 FrankfurterInnen, viele alte Bekannte auch. Nebenan trinkt eine Ministerin zu ihrem Döner einen Ebbelwoi. Der Ministerpräsident, Hans Eichel, schwitzt tapfer fast zwei Stunden lang unter der Plane des Bühnenwagens. Warum zieht der Mann nur sein Jackett nicht aus? Die Buh- und „Heuchler!“-Rufe jedenfalls habe er, finden Stadtverordnete seiner und anderer Parteien, verdient. Das geht an die Adresse der SPD, nimmt er aber persönlich: „Das muß ich mir hier nicht vorwerfen lassen!“

Und Hans Eichel, laut für seine Verhältnisse, verschafft sich Gehör auf der Kundgebung an diesem kochendheißen Samstag nachmittag auf dem Platz vor der Alten Oper. Fast hört es sich an, als wolle der oberste Hesse die Revolution ausrufen. Dies hier sei keine „Kundgebung zum Trauern“: „Wer nur trauert, wird noch oft trauern müssen. Handeln müssen wir jetzt!“ Das trägt ihn so eilig davon, daß er ganz schnell noch den Satz vom Gewaltmonopol des Staates anfügen muß.

Unten rangeln inzwischen ein paar türkische und kurdische Männer miteinander, aber nur ein bißchen und nicht lange. Der Schulterschluß der unterschiedlichsten Gruppen ist hier in Frankfurt wieder mal gelungen, hat doch die Kommunale Ausländervertretung (KAV) zur Großdemonstration aufgerufen. Und dann kommen auch Trauer und Gedenken an die fünf ermordeten Frauen und Kinder aus Solingen zu ihrem Recht. Marina de Maria von der Frauengruppe der KAV spricht den Angehörigen ihr Beileid aus. Die Italienerin sagt, was auch konservative Türken nicht gerne hören: „Wir leben hier zusammen, wir arbeiten zusammen, wir heiraten untereinander.“ Bürger erster, zweiter und dritter Klasse dürfe es nicht geben. Und: „Wir leben hier für immer!“

Die Redebeiträge verwandeln die Veranstaltung in eine Kundgebung für die doppelte Staatsbürgerschaft, für Ausländerwahlrecht und für den inneren Frieden — nicht der Deutschen, sondern in Deutschland. Bahman Nirumand vom Frankfurter Amt für multikulturelle Angelegenheiten wendet sich gegen die nach jedem Anschlag neuen „allmählich ekelerregenden Bekundungen der Rührung“ der PolitikerInnen: „Den meisten von ihnen kann ich es einfach nicht abnehmen, daß sie sich wirklich schämen.“ Er mahnt trotz „der berechtigten Wut, die uns an den Knochen nagt“, zu einem „kühlen Kopf“. Es gehe nicht um Taten als Folge einer öknomischen Krise im Lande, um verirrte und frustrierte Jugendliche — die gäbe es anderswo auch. Es gehe vielmehr um spezifisch Deutsches: „Warum, um Himmels Willen, werden nur hier Menschen verbrannt?“ Jugendliche würden schließlich nicht als Brandstifter geboren, die Gesellschaft erzeuge das Klima. Auch habe er es satt, daß „Ausländer als gemarterte Opfer auftreten“: „Ich habe Angst, sagt der Ausländer. Ich schäme mich, sagt der Deutsche.“ Eine Gesellschaft, die durch Handeln und Reden sechs Millionen Menschen ausschließe, sei „eine brüchige Demokratie“. Er fordert, ebenso wie der Stadtverordnete Michael Brumlik, den Widerstand der „zivilen Gesellschaft“. Brumlik ruft gegen den „ganz stinknormalen Rassismus“ der „kleinen Leute“, gegen die „enthemmte Mordlust männlicher Jugendlicher“ zu einer Bürgerbewegung auf, die an die Traditionen der Emanzipation anknüpft. Notfalls, so hat ein Gewerkschafter schon vor ihm gesagt, „mit dem Mittel des Streiks“.

Die Gegenposition blieb der Frankfurter CDU vorbehalten. Fraktionsvorsitzender Mihm hatte eine Anfrage der KAV zur Teilnahme abschlägig beschieden: „Wir können uns nicht dazu hergeben, daß Trauer und Abscheu vor der entsetzlichen Mordtat von Solingen für eine ausländerpolitische Linie instrumentalisiert werden, die die CDU nicht mittragen kann.“ Heide Platen, Frankfurt