■ El Hierro: Wunderheilung auf den Kanarischen Inseln?: Das Wasser der Dona Rosa
Sabinosa/El Hierro (taz) – El Hierro ist die kleinste und südwestlichste Insel des Kanarischen Archipels. Doch das Eiland, durch das der griechische Naturforscher Ptolemäus im 2. Jahrhundert für sein Atlas-Werk den Null-Meridian gezogen hatte, liegt nicht nur geographisch am Rand. Alle Versuche der Inselverwaltung, die Abwanderung der einheimischen Bevölkerung nach Südamerika, auf das spanische Festland, nach Gran Canaria oder Teneriffa zumindest in Grenzen zu halten, sind bislang ebenso gescheitert wie das Bemühen, Touristen in nennenswerter Zahl anzulocken. Die Einwohnerzahl ist heute mit rund 7.300 kaum höher als um die Jahrhundertwende. Und bis auf die beiden Monate Juli und August, wenn die gestreßten Freunde und Verwandten von den großen Nachbarinseln zur Sommerfrische einfliegen, stehen 70 bis 80 Prozent der 620 Gästebetten El Hierros leer.
Ein Indiz dafür, daß sich die Verantwortlichen trotz gegenteiliger Beteuerungen mit dem Schicksal El Hierros als Kanarisches Aschenputtel längst abgefunden haben, ist ein mit Millionen-Subventionen der Zentralregierung in Madrid errichtetes hochmodernes Badehaus am Strand von Sabinosa im rauhen Südwesten der Insel. Seit der schlüsselfertigen Übergabe an die lokalen Behörden im Jahr 1989 hat sich hier nämlich nichts mehr getan. Die Wände, denen die Gischtspritzer und die salzhaltige Luft zugesetzt haben, zeigen bereits erste Risse, Türscharniere und Wasserrohre aus Zinkblech sind schon kräftig angerostet.
Dona Rosa Perez, die wenige Meter weiter selber eine Pension betreibt, kann es nur recht sein, daß das staatliche Bad ein „fracaso“, ein kräftiger Reinfall, ist. Laufen ihr so doch nicht die eigenen Gäste weg, die – manche kommen seit 30 Jahren – im Sommer in der „Casa Rosa“ Quartier nehmen, um sich mit Heilwasser aus dem sagenumwobenen „Pozo de Salud“, dem Gesundheitsbrunnen, die Gedärme reinigen, das Asthma kurieren oder Hautausschläge abwaschen zu lassen. Das mineral-, schwefel- und sogar radioaktivitäthaltige Wasser, schwört Dona Rosa, sei für und gegen alles gut. „Die Leute kommen mit Hautkrankheiten, Geschlechtskrankheiten oder Rheumatismus zu mir, aber alle sind spätestens nach einer Woche wieder gesund.“ Auch zur Prävention eigne sich das Wasser hervorragend.
Auf skeptisches Nachfragen verrät die 70jährige, die selbst noch nie krank gewesen sein will, Einzelheiten ihrer Therapie. Gleich nach ihrer Ankunft bekommen die Gäste – von Patienten spricht Dona Rosa nicht – so viele Gläser Heilwasser eingeflößt, bis sie ihren Darm vollständig entleert haben und nur noch eine farb- und geruchlose Flüssigkeit ausscheiden. Es folgen warme Bäder und heiße Suppen, ebenfalls aus dem Wasser bereitet, danach wird unter dicken Schafwolldecken geschwitzt. Zum Mittagessen serviert Rosa selbstgezogenes Gemüse, Obst und frischen Fisch. Fleischgerichte sind während der je nach Art des Leidens fünf bis zehn Tage dauernden Kur ebenso tabu wie Alkohol, Tabak und Baden im kalten Meer.
Wer die Geschichte immer noch nicht glaubt, kann sich im Wohnzimmer Fotos ansehen. Von einem englischen Lord, der furunkelübersät und mit ernster Mine auf Hierro ankam und zwei Wochen später mit babyglattem Teint und lachend die Insel wieder verließ. Oder von einem Kaufmann aus Hamburg, dessen von Schuppenflechte bedeckter Körper bei seiner Ankunft wie der Panzer einer Schildkröte aussah und der sich, so Dona Rosa, nach der Rückkehr ob seiner Schönheit „vor Heiratsangeboten nicht mehr retten konnte“. Reimar Paul
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