: Freie Rede von freien Reedern
■ Ein Radioschiff der EG schafft „Gegenöffentlichkeit“ im Jugoslawien-Krieg
Die Wahrheit ist das erste Opfer des Krieges. Dies trifft auch auf den Konflikt im ehemaligen Jugoslawien zu. Schon vor Ausbruch des Krieges auf dem Balkan liefen die Propagandamaschinerien der verfeindeten Parteien, von Serbien und besonders von Kroatien, auf Hochtouren.
Nun versucht ein von Journalisten aus diversen Gebieten des ehemaligen Jugoslawien gebildeter Radiosender, die Kriegspropaganda „zurechtzurücken“: Die Station, die sich „Radio Brod“ (deutsch: Boot) nennt, sendet aus den internationalen Gewässern der Adria und wird von der EG finanziert.
Am Dienstag, 13. April, 21.40 Uhr MESZ, machte der BBC-Monitoring Service einen Mitschnitt auf Mittelwelle 720 kHz von einem Monitoring-Posten in Italien: „Hier ist das Radioschiff, hier ist das Radioschiff. Liebe Hörer, guten Abend. Sie hören unser Programm auf Mittelwelle 720 kHz und auf UKW 90 MHz.“ Dann folgte ein Nachrichten-Bulletin über die Situation in Srebrenica.
In Nordeuropa kann „Radio Brod“ spätnachts gegen 5 Uhr MESZ gut empfangen werden.
An „Radio Brod“ sind sieben Journalisten beteiligt. Sie wollen die „vielfältigen ethnischen Gruppen“ des ehemaligen Jugoslawiens widerspiegeln. Ein Slowene, zwei Kroaten, zwei Montenegriner, ein Serbe und ein bosnischer Muslim machen das Programm. Stationsmanagerin ist Daragice Panorać: „Einer der Faktoren von großer Bedeutung ist das Informationsmonopol der jeweiligen Kriegspartei, explizit der Regierungen. Die öffentliche Meinung wird von der jeweiligen Regierung, von den regierungseigenen TV- und Radiostationen und der Presse produziert und manipuliert.“
Die Station sendet von Bord eines früheren ozeanographischen Schiffes namens „Droit de Parol“, das wörtlich übersetzt das „Recht der Rede“ bedeutet. Das 65 Meter lange Schiff unter der Flagge der Karibikinsel St. Vincent sendet aus internationalen Gewässern und wird aus dem italienischen Hafen Bari versorgt und unterstützt.
Der leistungsstarke 50-Kilowatt-MW-Sender auf 720 kHz ist seit dem 7. April im Äther zu hören. Aber die Station ist noch nicht voll funktionstüchtig, wie ein „Radio Brod“-Journalist einräumt: „Die Sendungen begannen am frühen Abend des 7. April, nachdem wir aus Bari ausgelaufen waren. Wir sendeten zuerst nur Musik, um unsere Ausrüstungen zu prüfen und technische Probleme zu lösen. Wir verfügen über drei Satelliten- Telefone und anderweitige Telefonverbindungen, aber wir haben auch eine sehr große Antenne, die ein leistungsstarkes Signal ausstrahlt, und das ist der Grund dafür, daß das elektronische Equipment sich gegenseitig beeinträchtigt. Doch wir werden dieses Problem in den Griff bekommen.“
Ziel des Programms ist, zu jeder vollen Stunde eine kurze Nachrichten-Zusammenfassung zu senden und täglich drei Haupt-Nachrichtenblöcke: morgens, nachmittags und abends. Die Nachrichten basieren zunächst auf Angaben der drei größten internationalen Nachrichtenagenturen AFP, AP und Reuter, zusätzlich auf Informationen der öffentlichen, ex-jugoslawischen Nachrichtenagenturen, der nun serbischen TANJUG und der kroatischen und bosnischen Agenturen.
Neben den Agenturen verfügt die Station über eigene Korrespondenten in der ganzen Balkan- Region. In naher Zukunft plant „Radio Brod“ die Einrichtung eines Telefonanschlusses in Paris, um es Menschen innerhalb und außerhalb des Kriegsgebietes zu ermöglichen, Mitteilungen an Freunde und Bekannte durchzugeben. Die Station hat eine finanzielle Hilfe von der EG von insgesamt zwei Millionen Mark erhalten erhalten, genug für einen Monat. Danach sollen private Geldgeber einspringen.
Aber warum wählte man ein Schiff für die Sendungen und keine der internationalen Sendegesellschaften wie BBC oder France Internationale, die sowieso schon in diese Region senden? Die Managerin: „Sendungen von einem Schiff aus machen uns unabhängig. Wenn man dagegen irgendwo im ehemaligen Jugoslawien einen Sender installieren würde, wäre man dem Risiko ausgesetzt, ihn sofort wieder loszuwerden, da er von den Behörden sofort beschlagnahmt werden würde.“ Deshalb sende man von internationalen Gewässern aus. Wäre die Station in einem Nachbarland wie Italien aufgezogen worden, so Daragice Panorac, hätten sich ebenfalls Probleme ergeben: „Dann riskieren Sie einen Konflikt zwischen den Ex-Republiken Jugoslawiens und eben diesen Sendeländern.“
Die Station nimmt für sich in Anspruch, den größten Teil von Ex-Jugoslawien zu versorgen, einschließlich Serbien, Teile von Kroatien und auch Sarajevo. Das das Schiff umgebende Salzwasser trägt dazu bei, die Signalstärke derart zu verstärken, als sende man von einer terrestrischen Station. Und die Station hat einen weiteren wichtigen Vorteil gegenüber den internationalen Radiostationen. Die Stationsmanagerin: „Es gibt momentan zahlreiche Vorurteile gegenüber allen Nachrichten und Informationen, die aus Übersee kommen.“
Es ist das zweite Mal, daß die französische Organisation „Droit- de-Parol“ Unterstützung für die „unabhängigen“ Medien in Ex-Jugoslawien geleistet hat. Bereits im vergangenen Sommer war man an die EG herangetreten, um Genehmigungen zur Versendung von einigen hundert Tonnen an Nachrichten-Druckerzeugnissen an unabhängige Zeitungen in Ex-Jugoslawien zu erhalten.
Die wurde erteilt, und so konnte man zusätzlich technisches Equipment für eine Radiostation in das ehemalige Jugoslawien verschicken. Das Unternehmen war ein Erfolg – aber nun, bei dem neuen Projekt, erwarten die Organisatoren beträchtlichen Widerstand von der serbischen und kroatischen Regierung. „Wir werden bestimmt Schwierigkeiten mit allen Republiken Ex-Jugoslawiens bekommen, da wir unabhängig sind, in dem Sinne, daß wir für den Informations-Pluralismus kämpfen.“
Das Projekt, so sagen die Organisatoren, sei die „logische Konsequenz“ einer Empfehlung eines Mitglieds der UN-Menschenrechtskommission, des früheren polnischen Ministerpräsidenten Tadeusz Mazowiecki. In einem Bericht an die Weltorganisation im August des letzten Jahres hatte Mazowiecki ausdrücklich die Notwendigkeit betont, den freien Informationsaustausch wieder zuzulassen. Nur dieser würde die Verbreitung des Hasses durch die lokalen Medien stoppen.
Trotz finanzieller Unterstützung der EG verletzt dieses Unternehmen klar die Gesetze der Internationalen Fernmeldeunion (ITU), die Sendungen von einem Schiff verbieten – selbst wenn es sich in internationalen Gewässern befindet. Daragice Panorać weiß dies, aber sie sagt, daß hier hohe moralische Ziele auf dem Spiel stehen: „Wir senden nicht aus kommerziellen Gründen. Wir kämpfen für die Beendigung des Krieges und die Etablierung eines Dialogs. Wir kämpfen für den Versuch der Kommunikation zwischen den Teilen von Ex-Jugoslawien, die nicht mehr miteinander kommunizieren. Wir kämpfen für die Verständigung der verfeindeten ethnischen Gruppen und für eine Familienzusammenführung. Das ist das, was dem Projekt moralische Legitimität gibt.“ Erbil Kurt/Rainer Pinkau
Redaktion „Radio von unten“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen