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Kreuzchen malen wie in einem Lotterielokal

■ Die „Transparenz“ bei der Durchführung offiziell geheimer Wahlen ist für die Beibehaltung von stabilen Mehrheiten vor allem auf dem Lande äußerst nützlich

Mehrere Polizisten standen am Sonntag nachmittag am Eingang zu einer Schule im bürgerlichen Madrider Stadtviertel Chamberi, die an diesem Tag als Wahllokal diente. Auf der Straße waren keine Störungen des Wahlgangs zu befürchten. Schlechter jedoch stand es um die Durchführung der geheimen Wahl im Innern des Gebäudes. Und nicht nur hier, sondern in ganz Spanien – ohne daß dies zu größeren Aufregungen geführt hätte.

Auf einem langen Flur stand ein großer Tisch, auf dem Dutzende Papierstapel aufgebaut worden waren. Jeder Stapel enthielt den Wahlzettel jeweils einer Partei. Die mündigen Bürger traten so an den Tisch, fischten sich vor den Augen aller anderen Wähler einen Zettel vom Stapel ihrer bevorzugten Partei und steckten diesen in einen Umschlag.

Da dieser Akt nicht anders als in der Öffentlichkeit vonstatten gehen konnte, war es nicht erstaunlich, daß auch die zeitungsblattgroßen Zettel für die Wahlen zum Senat, auf denen wie in Deutschland die verschiedenen Parteien aufgeführt waren und mit Kreuzchen bedacht werden mußten, gleich auf eben diesem öffentlichen Tisch ausgefüllt wurden.

Der Flur wirkte so wie ein Lotterielokal, in dem sich Bürger gegenseitig Kugelschreiber ausliehen, um vor den Augen aller ihre Kreuze zu malen. Viele Alternativen gab es ohnehin nicht. Die zwei Kabinen, die den Bürgern zur Verfügung standen, waren mit Zetteln angefüllt und kaum benutzbar. Wie die rechte Tageszeitung ABC am Montag kritisierte, standen in vielen Wahllokalen gar keine Kabinen zur Verfügung.

„In meinem Dorf wußten immer alle, was ich wählte“, versichert ein galicischer Wähler. „Jeder sieht, von welchem Stapel du den Zettel nimmst. Und wenn du in einem Dorf lebst, wo alle die Rechten wählen, dann kannst du auch nicht zur Tarnung alle Papiere mit in die Kabine nehmen, denn dann weiß auch jeder, daß du nicht die Mehrheitspartei wählst. De facto heißt das, daß du dann Nachteile in Kauf nehmen mußt von den jeweiligen Dorfkaziken, die wissen, daß du nicht für sie gestimmt hast.“

Eine andere Wählerin beklagte sich, spät am Wahlabend seien meist die Stapel häufig durcheinander oder es würden die Wahlzettel von bestimmten Parteien geklaut, so daß sie häufig gezwungen sei, vor aller Ohren darauf hinzuweisen, daß die Stimmabgabe für diese oder jene Partei mangels Papieren nicht mehr möglich sei.

Diese undemokratische Form der Durchführung von offiziell geheimen Wahlen ist für die Beibehaltung von stabilen Mehrheiten vor allem auf den Dörfern ausgesprochen nützlich. Davon profitieren in erster Linie die traditionell starken Rechten in Galicien und die Sozialistische Partei in Andalusien und Extremadura. Aus den Reihen der rechten „Partido Popular“ wurden denn auch Klagen laut, in den Landesteilen Andalusien und Extremadura hätten in manchen Wahllokalen sozialistische Parteimitglieder die – häufig analphabetischen – Bürger bis zum Tisch mit den Stimmzetteln begleitet und ihnen gezeigt, welchen Stimmzettel sie zu nehmen hätten.

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