Sich wehren, ohne zu stören?
Key Pankonins Notizen aus dem Underground des Ostens. Eine Geschichte über Punk und Jugend in der DDR ■ Von Anke Westphal
Das Leben fängt an: „Alles in allem ein Bombenblatt“. Mutter- Vater-Kinder-Welt, das Universum ein großartiges Versprechen trotz der Plattenschluchten von Berlin-Marzahn, Kindergarten und Fischstäbchen aus Rostock. So mit zehn, bei den Liebesliedern von Frank Schöbel packt den Heranwachsenden die Glut, und es ist klar, daß er Gitarrist wird: „Meine Eltern schenkten mir eine Gitarre. Sie hieß Die kleine Liese. Der Name war mir peinlich.“
Gitarren für ungepflegte Beatmusik heißen so nicht; das weiß man aus Ilja Richters „Disco“ im Westfernsehen. Man sieht die richtigen bei „Kiss“ und – das gibt den Ausschlag – den „Sex Pistols“. Man kann also öffentlich böse sein; das ist der Kuß der negativen Energiequelle auf ein bald in fürsorglichster Absicht beargwöhntes „halbkriminelles Element“.
Das war von klein auf wütend auf die vorgestanzte Umwelt, die Eltern, sich selbst, und sucht, wie im Märchen, seinen Drachen zum Erschlagen. „Als erstes will er Rock 'n' Roller sein, dann Held.“ Die phantastische Rotznase pellt Sprengstoff aus Nazi-Fundmunition und träumt davon, Terrorist für eine gerechte Sache zu sein. Da der Arbeiter-und-Bauern-Staat als die gerechte Sache an sich schon alle Übungsterritorien besetzt hält, fliegen er und seinesgleichen als Punks auf dem Schwein.
„No Future“ macht so ganz eigenen Sinn, eine angenehm fiese Nische zum Rumschmuddeln inmitten der permanenten Unterforderung durchs Behütetwerden, ein „Weg jenseits der Spur“. Die zornigen Aufbau-Kader stürzen „RFT“-Küchenradios ins Unglück und üben die drei berühmten Griffe in der Neubauwohnung, wo die schlechte Laune der Bauarbeiter als Unruhe aus dem Beton kriecht. Die zweckmäßige Mischung aus Phantasie und Wirklichkeit ergibt dann alles in allem „eine passable Fälschung“, aber auch den „dreckigen Haß der Gegenwahrheit“, in der man sich mit zur Faust erhobenen Händen einrichtet.
Genau diese störrische Passivität gegen das voranschreitende Vaterland wird von einem derjenigen, die ihre Sehnsucht nach dem Ereignis an Verstärker und Verzerrer schlossen, erzählt. Key Pankonin gehörte zum Adel des DDR-Punk („Die Firma“, die Trashfoodpunk'n'rollband „Ichfunktion“) und liefert mit seiner autobiographischen Erzählung „Keynkampf“, vielleicht ohne es zu ahnen, eine Antwort auf die meistgestellte Frage an die Subkultur der DDR: Warum wurde nicht gekämpft – dort, wo der Begriff „Kampf“ durch den in den Rücken geschossenen Thälmann allgegenwärtig war? Was war das – „Keynkampf“, das Brüllen der Lämmer?
Gab es überhaupt „richtigen“ Punk im Osten, fragt man auf der anderen Seite des Grabens und im Vollgefühl des Originals? Wo kam er her, wo ging er hin – was machen die einst subversiv umjubelten DDR-Punker jetzt? Hören sie noch „echte“ Sex Pistols statt – wie vorzeiten – mit Tateifer nachempfundene Rolling Stones, haben sie ihre Gitarren verkauft?
Pankonin verschafft uns Zugang zu Sozialisation und State of Mind eines nicht geringen Teils der heute 30jährigen, die des „Teufels Gehilfen“ sein wollten, und wenn es dazu nicht reichte, wenigstens als innerliche Mental-Punker deren hammerhart systemkritische Botschafter feierten. „Keynkampf“ ist eine Autobiographie mit Schlüsselpersonen, die niemand identifizieren muß, um zu verstehen. Die übergreifende Geschichte steigt wieder und wieder in einen schwarz einmontierten Metatext aus Träumen und Definitionsversuchen.
Pankonins Erzählen errichtet keine intellektuelle Distanz, sondern staunt und schmerzt sich mit jener verspielten Präzision eines bitter allein gelassenen Kindermunds, der „wunderbar“ schreien möchte, durchs Ost-Biotop, daß die Eisenringe vom Herzen springen.
„Spinner, Musiker, Dissidenten, Ausreise- und Todeskandidaten“, Berufsschule, Volksarmee, Cafés und besetzte Häuser, in denen schiefe Töne, selbstgedrehte Pillen, Suizidversuche und bald nicht mehr verbotene Bücher die Runde machen und man stolz darauf ist, „dem Schänder sein Geld borgen zu dürfen“. Man „verpißt sich gründlich“ aus dem offiziellen Plan in eine sich nicht minder belügende Szene. Ihre Hackordnung, obwohl ein Vexierbild der Verhältnisse, erscheint allemal besser als das „weiße Rauschen der ostdeutschen Staatsmacht“ mit ihrem geheucheltem „Immer Bereit!“. Die darf und will ihre Randgruppen nicht loslassen. Im März 1986 kann Lutz Schramm bei DT 64 mit reinigendem Krach auf Sendung gehen. Idealzustand „ist der Zustand ohne Angst“, das Wegbrüllen der Angst vor der Angst. Die Gegenwahrheiten spielen in Wolmirstedt oder Hennigsdorf: „Ichfunktion“, „Freygang“, „Firma“, „Herbst in Peking“, „Die Skeptiker“, „Feeling B.“, „Die Art“, „Sandow“, „Die Vision“ und so weiter. Zwischen Kartoffelwirklichkeit und Entenhausen ist die Summe aller Aktivitäten nicht Freitod durch Langeweile, aber doch null, weil es sinnlos scheint, Lärm um eine Sache zu machen, die man sowieso verloren glaubt. Das „Sag mir/wo du stehst“ der FDJ-Singebewegung taugt allenfalls noch zur hechelnden Cover-Version. „Wo der Kopf die Ichfunktion des Bauches übernimmt, entsteht ein krankes Gebilde, das im schlimmsten aller Fälle zur Staatsmacht erstarrt“.
Der Staat aber, der nicht schnell genug zerfällt, vergifte die Menschen, lautet des Ost-Anarchos Erklärung. Punk – für Pankonin meint er große Worte, die „innere Emigration“, die großmächtige Zornpose, „nicht so schöne, aber deutliche Bilder“. Gleichzeitig ist man „nicht das einzige als Punk- Musiker verkleidete Zahnrad der DDR-Maschine“. Pankonin tätowiert sich R.G.M. („Rock gegen Mittelmäßigkeit“), ein böses Fake auf den deutschen demokratischen Beat vom „Rock für den Frieden“, auf seinen linken Oberarm. Der DDR-Underground nahm eine Position des Lauerns ein, die vom Wendealltag eingeholt wurde. Die „Umkehrwelt“ bringt neben dem Dämon Lähmung die wirkliche Härte mit, Gedankenstau im Wartezimmer des Sozialamts: Man kann nicht mehr wie im Fernsehen sein.
Das Fehlen einer neuen Gegenwahrheit schlägt sich im aggressiven Stillstand von Pankonins Sprache nieder: Nach der Wende sind Ich und Szene zunächst ohne Funktion. Wenn Pankonins Buch etwas vermittelt, dann ein Lebensgefühl, das nicht einfach nur den guten alten Holzweg entlangschlich. „Sich wehren, ohne zu stören“, war die unbenannte, pragmatische Strategie einer DDR-Generation, die mit dem unscharfen Gefühl aufwuchs, „um Kampf betrogen worden zu sein“, weil alles seinen sozialistischen Gang ging. Die „anderen“ Bands, Maler, Autoren, Regisseure artikulierten dazu einen „Blues, der sich (u.a.) Punk nannte“ – eine „Interfunktion, die ... die Beschissenheit rettet“, vor der Tünche des planmäßigen Fortschritts. Pankonins Buch fußt auf Tagebuchnotizen, die ihren Energieantrieb noch woanders her bezogen haben müssen als aus einer ehemals haßgefüllten Pandorabüchse: aus der skeptischen Sehnsucht nach einem Urzustand unschuldigen Vertrauens. Beides kehrt unerwartet und verwandelt wieder, im Buch und in neuen Songs.
„Die Skeptiker“, „Feeling B“ und „Die Art“ haben gerade neue Platten veröffentlicht; die „Ich- Funktion“ konzipiert eine. Allesamt, diese Autobiographie eingeschlossen, pathetische Stimmen der geschundenen Ostler? Das wäre mehr falsch als billig, aber was ist jetzt das Gefühl? Pankonin (30) weiß so wenig wie andere die Antwort, träumt aber „als ein Mann, der sich all die Jahre verstellt hat“ – vom Kämpfen.
Key Pankonin: „Keynkampf“, Unabhängige Verlagsbuchhandlung Ackerstraße, (Kronenstr. 3, O-1080 Berlin), 111 S., 19,80 DM