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Die vor den Ball treten

■ Tragik und Glück auf der Tribüne: Adolf Winkelmann über seinen neuen Film "Nordkurve", über Fans, Funktionäre und Gewalt

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Die vor den Ball treten Tragik und Glück auf der Tribüne: Adolf Winkelmann über seinen neuen Film

Nordkurve, über Fans, Funktionäre und Gewalt

Sind Ihnen im Stadion mal die Tränen gekommen?

Ja. Von frühester Jugend an hab' ich am Rand von Fußballplätzen gestanden und es doch nie fertiggebracht, brauchbar vor den Ball zu treten. Aber für meine Mannschaft zu zittern, das kenn ich gut. Man kann auf dem Fußballplatz wirklich sehr intensive Gefühle erleben, himmelhochjauchzendes Glück und fürchterliche Verzweiflung, Trauer und Dramatik und dies ganze Zeug.

Sieht man sich die „Nordkurve“ an, könnte man auch auf die Idee

1kommen, daß sie Fußball hassen.

Ja sicher. Ich kann das zwar sehr stark gefühlsmäßig erleben, aber auch mein Gehirn gebrauchen. Warum spring' (springt) ich plötzlich auf, ja? In einem leeren Stadion merkt man zum Beispiel sofort, oh, Scheiße, hier geht es schlimm zu, sonst wären nicht solche Zäune aufgebaut. Und ich bemerke, daß sich da große Schweinereien in meinen Gefühlen abspielen. Wenn ich schreie ‘Zieht den Bayern die Lederhose aus!', ist der nächste Schritt, daß ich die verprügele.

Wie waren BVB-Fans oder Funktionäre an der Nordkurve beteiligt?

Die BVB-Funktionäre mußten uns nur das Drehen genehmigen. Mit den Fans haben wir teils sehr eng zusammengearbeitet. Man kann ja nicht einfach Komparsen holen und sagen, jetzt tut mal so, als wärt ihr Fußballfans, das geht in die Hose.

Hools, Funktionäre, Fans, alles Gestalten, die schon wieder Themen für einen Extra-Film abgeben.

Wir haben versucht, in die Breite zu gehen. Von manchen Figuren wünschte man sich ausführlichere Beschreibungen, aber das geht auf Kosten des Überblicks.

Wie kam der Film bei Fans und Funktionären an?

Er wirkt wie ein Spiegel. Man sieht sich und sagt: Das soll ich sein? Die Journalisten sagen, das ist alles genau beschrieben, nur wir Journalisten sind nicht so. Die Funktionäre sagen das, und die Fans sagen: Is' genau richtig, dieser Präsident, dieses Schwein. Aber wir sind doch viel lieber. Der einzige Fehler ist, daß der Film Nordkurve heißt, aber der Drehort Westfalenstadion viereckig ist.

Keine Reaktion vom Verein?

Die Vereinsführung von Borussia Dortmund ist professioneller als das, was wir zeigen. Ein Mann vom Fan-Projekt hat den Film offiziell total abgelehnt, und wollte dann Kassetten von dem Film für seine interne Schulungsarbeit.

Also nicht weit weg vom „Lebensgefühl der Republik“ während des Terrors gegen Ausländer?

Ausländerfeindlichkeit hat es immer gegeben, nur hat kein Mensch

1darüber gesprochen. Die Grenze zwischen Gut und Böse geht durch jeden Einzelnen. Das Fürchterliche ist, daß wir alle diesen Ausländerhasser in uns haben. Wir haben das in in unserem Film nicht geordnet wie im Western mit den Guten und den Bösen, sondern so, daß die Figuren gleichzeitig ekelhaft und liebenswert sind. Das ist schwieriger wahrzunehmen als dieses falsche idealisierte Quatschzeug vom strahlenden Helden und einem stinkenden Bösewicht. Ich habe einen winzigen Aspekt der heutigen

1Wirklichkeit, die sich ja der Fernsehkamera entzieht, herausoperiert. Inszeniert man sie und macht das überwiegend richtig, dann sagen Leute aus ganz anderen Ecken, ich hab noch nie was von Fußball verstanden, aber das gibt es bei mir auch, bei anderen Sportarten oder in Betrieben. In Nordkurve sind ja konkret hingepinselte Figuren mit Entsprechungen in allen Bereichen. Nicht, weil irgendwelche Allegorien gesucht wurden, sondern das eine eben was mit dem andern zu tun hat. Fragen: Julia Kossmann

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