: Die schönsten Starpostkarten
■ Ewige Teezeit in der Kunsthalle: „Szenen aus dem alten Japan“ / Rätsel um japanische Farbholzschnitte gelöst
„Ewiger Sonntag“, so schwärmt manch westlicher Kunstgeschichtler, herrsche in den duftigen Bildern aus dem Holland des 17./18. Jahrhunderts. Diese sonnige Ruhe in allen Kammern, dieser Friede auf allen Feldern. In Japan hingegen pflegte man hingegen die „ewige Teezeit“ — diesen Anschein hat es zumindest, wenn man sich von der Atmosphäre der Farbholzschnitte jener Zeit gefangennehmen läßt. Stille „Szenen aus dem alten Japan“ führt uns derzeit (bis 1. August) die Bremer Kunsthalle vor Augen: Historische Farbholzschnitte, von deren Kostbarkeit selbst die Kunsthalle bisher nichts wußte.
„Nicht mal in Japan“ gebe es sowas, sagt Kustos Andreas Kreul. Einige der Blätter aus dem Fundus des Kunsthallen-Magazin erwiesen sich jetzt als einzigartige Raritäten. Der komplette Tokaido-Zyklus von Hokusai z.B., der die 53 Stationen einer historischen Küstenstraße beschreibt — der gehört zu den wahren Schätzen des Hauses.
Geahnt hatten die Bremer zwar schon, was da an Kostbarkeiten im eigenen Hause schlummerte. Den Grundstock zu den Farbholzschnitten hatten bereits Stiftungen von privaten Sammlern in den zehner Jahren gelegt. Aber zu sehen bekamen die Bremer BürgerInnen die fernöstlichen Preziosen fast nie. Die heimischen Kunstgeschichtler hätten einfach zu wenig Erfahrung mit der japanischen Art der Stimmungsmalerei und des Geschichtenerzählens gehabt.
Eine Japanerin löste nun die Rätsel der Bremer Drucke. Eiko Kondo, international anerkannte Fachfra, befaßt sich seit 1990 (da gab es den ersten Teil der Ausstellung) mit der Sammlung. Sie lieferte nicht nur eine Datierung der Blätter, sondern auch den Schlüssel zu den teils phantastischen Geschichten hinter den Bildern.
Was da, auf den westlichen Betrachter, erstmal als irgendwie meditative Grundstimmung wirkt, entpuppt sich dank Frau Kondos Legenden oft als sehr genaue Schilderung z.B. einer witzigen Parabel, einer historischen Anekdote oder auch nur einer Alltagsgeschichte. Zum Beispiel die von den Fährmännern am Flusse Seto: Da die Regierung aus „Kontrollgründen“ die Benutzung von Booten nicht zuließ, geschweige denn den Bau einer Brücke, mußten die japanischen Fährleute ihre Kundschaft auf den nackten Schultern ans andere Ufer tragen.
So bietet die Ausstellung nicht nur den Anblick feinsinnigen Kunstschaffens, sondern auch einen sehr differenzierten Einblick in die Kulturgeschichte Japans, jenseits der handelsüblichen Klischees. Schließlich dienten die heute so kostbaren Blätter zur Zeit ihrer Entstehung auch ganz profanen Zwecken — dem der Nachrichten-Übermittlung (Feuersbrünste, Erdbeben) ebenso wie der gezielten PR. Die zahlreichen Schauspieler-Bildnisse z.B. können als Vorläufer der Star-Postkarte gelten. Kondo identifizierte sogar die genauen Rollen, die Inszenierung und die Spielzeit, in der die Bildnisse entstanden. Nicht als wertvolle Einzelblätter übrigens, sondern als veritable Massendrucksache, dem Volk zum Vergnügen, dem trauten Heim zum Schmuck. two
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