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Das ethnische Deutschsein in Frage stellen

■ Interview mit Philip Potter, dem ehemaligen Generalsekretär des Weltkirchenrates, über deutsche Außenpolitik, das Motto des Kirchentages und Ausländerhaß in Deutschland

taz: Herr Potter, Sie sind Kirchenmann, Sie sind schwarz und in der Karibik geboren. Heute leben Sie in Stuttgart. Wie fühlen Sie sich in Deutschland in der Woche nach den Morden von Solingen?

Philip Potter: Ich lebe hier als Pfarrer im Ruhestand, als Ehemann einer Deutschen, die auch Pfarrerin ist. Ich lebe von meiner Rente und stelle so kein wahrnehmbares Problem dar. Insofern bin ich natürlich privilegiert. Andererseits bin ich selbstverständlich besorgt. Ich habe mehr oder weniger intensiv seit 45 Jahren mit Deutschland zu tun. Ich weiß aus dem Weltkirchenrat, was getan wurde, um Deutschen nach dem Krieg die Emigration nach Australien, Neuseeland, nach Lateinamerika, nach Kanada und in die USA zu erleichtern. Ich war beteiligt an internationalen ökumenischen Jugend- Work-Camps. Menschen unterschiedlicher Rassen halfen, Deutschland wiederaufzubauen.

Und heute?

Solange die Wirtschaft lief, war alles in Ordnung. Gastarbeiter sollten ins Land kommen. Selbst im Osten wurden Arbeitskräfte aus der Dritten Welt angeworben. Aber nun, nach der ungleichen Vereinigung, mit der dramatisch steigenden Arbeitslosigkeit sehen die Menschen plötzlich Probleme in den Ausländern, in den Asylsuchenden. Sie sehen sie als Konkurrenz.

Die deutsche Politik ist nicht ganz unschuldig daran mit ihrer Anerkennung Kroatiens, mit ihrer Politik gegenüber den armen Ländern der Dritten Welt. Die deutsche Außenpolitik hat nicht gerade zur Entspannung des Flüchtlingsproblems beigetragen. In der öffentlichen Debatte spielen der Zusammenhang zwischen sozialen Problemen und der Gewalt sowie zwischen dieser Außenpolitik und der Gewalt eine viel zu geringe Rolle.

Nun sind Sie als Generalsekretär des Weltkirchenrates eine nicht nur in der Kirche einflußreiche Person gewesen. Was können Ihrer Erfahrung nach Kirchen gegen Ausländerfeindlichkeit tun?

Der Weltkirchenrat hat sich seit 25 Jahren intensiv mit den Fragen von Entwicklung, ethnischen und rassischen Spannungen auseinandergesetzt – aus dem Glauben heraus, aus der jüdischen-christlichen Tradition, mit ihrer Achtung vor dem Fremden. Gerade in Deutschland haben sich viele christliche Gruppen für Fremde und Asylsuchende eingesetzt. Die Schwäche ist allerdings, daß es keine gemeinsame Anstrengung der Christen und der Kirchen im Land gibt. Die Kirchen haben die merkwürdige Art und Weise, wie Deutschsein definiert wird, überhaupt nicht aufgegriffen, die Definition des Deutschseins in rein ethnischen Kategorien nicht in Frage gestellt. Ein schlimmes Problem. In Frankreich gibt es seit dem vergangenen Oktober ein gut organisiertes gemeinsames Programm aller Kirchen gegen die Fremdenfeindlichkeit.

Am Wochenende versammeln sich über 120.000 Menschen zum Kirchentag – zu Friede, Freude, Eierkuchen in München. Ist ein solches Happening der zur Zeit ernsten Situation in Deutschland angemessen?

Der Kirchentag ist immer ein Forum für gesellschaftliche Auseinandersetzungen gewesen. Und dieser Kirchentag wird sich ohne Zweifel intensiv mit der Gewalt und dem Rassismus auseinandersetzen. Das Programm bietet ganz dezidiert Opfern, Sinti und Roma, Menschen aus der Dritten Welt eine Plattform. Das Motto „Nehmet einander an“ will den Nachbarn in den Mittelpunkt rücken, ihn annehmen, ihn akzeptieren.

Von außen macht es eher den gegenteiligen Eindruck. Das deutlichere Motto „Auch ihr seid Fremde gewesen“ hat die Kirchentagsleitung abgelehnt.

Wenn Sie sich das Programm anschauen, reflektiert es an vielen Stellen das Problem der Fremdenfeindlichkeit. Es wird harte Debatten geben. Die Ereignisse der vergangenen Wochen werden diesen Trend noch verstärken. Man sollte die Dynamik eines solchen Kirchentages nicht unterschätzen. 1981 hat die Jugend auf dem Kirchentag das Friedensthema erst richtig auf die Tagesordnung gedrückt. Es ist durchaus denkbar, daß die Teilnehmer die Fremdenfeindlichkeit zum Thema schlechthin machen.

Aber es ist doch schon Thema. Das verhinderte Motto scheint mir eine viel deutlichere, politischere Stellungnahme zu sein.

Die Kirchentagsleitung hat ein Thema gewählt, das das andere irgendwie mit einschließt. Im Programm selbst wird man dann viel deutlicher. Die meisten von uns, die dort reden, werden die notwendigen deutlichen Worte finden.

Sie sehen keine vergebene Chance beim Motto?

Die vergebene Chance liegt nicht in der Formulierung. Wichtig ist, was in München selbst passiert.

Sie werden also deutlich Stellung beziehen?

Ich werde zum zentralen Thema sprechen, auch mehrfach.

Weshalb hat man Sie bisher nicht deutlicher vernommen?

Ich bin nur ein ausländischer Gast hier. Wichtiger ist, daß die Kirche als ganze sich endlich stärker engagiert, nicht nur einzelne Gruppen und Einzelpersonen, nicht nur die protestantischen Kirchen, auch die Katholische Kirche und alle anderen natürlich auch. Die Fremdenfeindlichkeit steht doch all dem entgegen, an das wir zutiefst glauben. Interview: Hermann-J. Tenhagen

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