: Am Abgrund zur verlorenen Mitte
■ Premiere von "Hush - Gewohnheitstiere", der fünften Produktion des Jugendtheaters auf Kampnagel
, der fünften Produktion des Jugendtheaters auf Kampnagel
Ein Haus am Meer, knirschender Strand aus blauem Plastikgranulat, sechs Menschen, verheddert in innerlicher Leere und bröckelnden Weltbildern. Hush — Gewohnheitstiere der englischen Autorin April De Angelis hatte am Mittwoch, inszeniert von JAK-Chef Jürgen Zielinski, als die fünfte Produktion des Jugendtheaters auf Kampnagel Premiere. Mit der deutschen Erstaufführung von Hush blättert Zielinski eine weitere Facette dessen auf, wie er sich Jugendtheater vorstellt. Nach Schul-, Umwelt- und Rechtsradikalenproblematik richtet er sein Interesse auf die verlorene Mitte des Einzelnen.
Die „Gewohnheitstiere“ sehen sich an und reden doch die meiste Zeit aneinander vorbei. Die See vergiftet, der Strand verseucht. In der Verwandlung zum Tierischen, Direkten, Instinktiven sucht sich Dogboy (Erik Schäffler) wiederzufinden. Er spricht von „seinem Hund“, er ist es selber. Der knurrende, beißende Menschenhund schmiegt sich an die Waise Rosa (Esther Linkenbach) und läßt sie unterm Steg am Strand ein wenig auf sich reiten — anschließend schluchzt er.
Seit dem Tod ihrer Mutter Jo lebt Rosa mit dem wenig erfolgreichen Schriftsteller Tony (Reinhard Krökel) und dessen Frau, der Journalistin Louise (Petra Kelling) in dem Haus ihrer Mutter am Meer. Eine Baumliebhaberin sei Jo gewesen, Louise pflanzt ihr ein Bäumchen auf die Spitze der Düne. „Jeder soll einfach sagen, was ihm gerade einfällt“, fordert Louise zur Zeremonie, bei der Tony von sich und seinen schmalen Erfolgen berichtet. Die esoterisch-ambitionierte Putzfrau Denise, Ursula Berlinghof, spricht der toten Jo am Bäumchen von den Walen, und daß es ein „Kraftfeld“ geben muß, das die Wale ein Leben lang mit demselben Partner verbringen läßt. Denise ihrerseits bezichtigt Rosa der Verwirrung. Die verzieht sich beim orientierungslosen Ritus unter den Steg: „Ich rede nicht mit einem Baum“. Als sie allein ist, läßt sie das kleine Mädchen raus: „Wenn sie brav war, war sie sehr brav. Aber wenn sie ungezogen war, war sie abscheulich“, und wütend tritt sie in den blauen Boden, daß der Sand aufspritzt.
Alles ist Stillstand, den auch der Ex-Freund der toten Jo, Colin (Stefan Mehren), der Rosa mit sich nehmen will, nicht aufbricht. Rosa bleibt bei Louise, ohne zu wissen, warum, denn: „Es gibt keine Le-
bensregel“. Dieser Ratlosigkeit haben die erwachsenen Gewohnheitstiere nichts entgegenzusetzen, Louises Aktionismus erstickt im Verbrennen alter Klamotten
Ein Unterschied zwischen Erwachsenen und Jugendlichen ist im Spiel kaum auszumachen. In dem das Künstliche und die Sehnsucht nach Natürlichkeit beschwörenden
Bühnenbild von Momme Röhrbein agieren drei Frauen und drei Männer am Rande des Selbstmords. Als Dogboy diese Konsequenz gezogen hat, ist das Stück aus. jk
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