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Skandinavien schottet sich ab

Die Regierungen Dänemarks, Schwedens und Norwegens wollen Flüchtlingen aus Bosnien die Einreise drastisch erschweren / UNHCR soll Fluchtwillige „vorsortieren“  ■ Aus Stockholm Reinhard Wolff

Das Wort „Visum“ soll vermieden werden. Doch der Effekt ist der gleiche. Nach Skandinavien sollen Bosnier nur noch kommen, wenn ein Stempel im Paß oder ein Spezialausweis des UN-Flüchtlingskommissariats (UNHCR) sie als Flüchtlinge direkt aus den Bürgerkriegsgebieten ausweist. Waren sie schon in UN-Flüchtlingslagern, in Nachbarländern oder auch nur bei Verwandten irgendwo in Ex- Jugoslawien zeitweise untergeschlüpft, gelten sie als „sicher“, und die skandinavischen Grenzen sollen für sie dicht bleiben.

Das Visum durch die Hintertür wollen sich die schwedische Einwanderungsministerin Birgit Friggebo und ihre Kolleginnen aus Kopenhagen und Oslo, Birte Weiss und Grete Faremo, bei der UN- Flüchtlingskommissarin Sadago Ogata absegnen lassen. Ab heute wollen sich Regierungsvertreter von Dänemark, Schweden und Norwegen zu diesem Zweck mit UNHCR-Beamten in Kopenhagen treffen.

Die UNHCR soll nach dem Wunsch der Regierungen dafür zuständig werden, Fluchtwilligen in Ex-Jugoslawien durch Stempel oder Spezialausweis zu bestätigen, daß sie noch nicht „sicher“ waren, bevor sie nach Skandinavien flüchteten. Nach welchen Kriterien das UNHCR solche „Bescheinigungen“ ausstellen und welche eigenen Kontrollen sie dazu vornehmen soll, ist unklar, wie überhaupt der gesamte Vorschlag mit der aktuellen Wirklichkeit in Bosnien schwer in Übereinstimmung zu bringen ist.

Die Initiative zu dem „Schutzpaß“-Vorschlag kommt von Dänemarks sozialdemokratischer Innenministerin Birte Weiß. Die bislang relativ großzügige Flüchtlingspolitik Kopenhagens war unter heftige Kritik geraten, nachdem eine Untersuchung ergeben hatte, daß 543 der 578 zwischen dem 26. April und dem 9. Mai eingereisten Bosnier aus „sicheren“ Zwischenstationen wie Flüchtlingslagern oder „Drittländern“ gekommen waren. Nach den bisherigen Richtlinien Kopenhagens stand dies der Gewährung einer dänischen Aufenthaltserlaubnis nicht entgegen. Aber die Stimmung wurde von dänischen Medien zusätzlich durch die Veröffentlichung angeblich in Ex-Jugoslawien und der Türkei verbreiteter Flugblätter geschürt, wonach Reisebüros Flüchtlingen Reisen nach Dänemark anbieten und dabei mit der dort ausgezahlten Sozialhilfe und der guten Unterbringung werben. So habe das Reisebüro „Delotrans“ in Novi Pazar südlich Belgrads regelmäßig jeden Dienstag und Samstag Flüchtlingstransporte ins polnische Świnoujście angeboten, wobei versprochen worden sei, daß der Reiseleiter „Sie bis auf die Fähre nach Dänemark bringt“. Ein Reisebüro in Mazedonien soll im März und April 236 bosnische Flüchtlinge gegen gutes Geld nach Dänemark geschafft haben.

Die dänische Initiative wurde von Schwedens konservativer Regierung aufgegriffen. In Schweden halten sich derzeit etwa 80.000 Flüchtlinge aus Ex-Jugoslawien auf. Über 10.000 Flüchtlinge aus Bosnien-Herzegowina sind in den ersten Monaten dieses Jahres eingereist und müßten nach den schwedischen Asylbestimmungen fast ausnahmslos Asyl bekommen. Derzeit wird ihnen dies durch einen Trick verweigert: Ihre Anträge werden von den zuständigen Behörden einfach nicht bearbeitet. Statt dessen erhalten sie befristete Aufenthaltsgenehmigungen.

Auch Norwegen trägt die dänisch-schwedische Initiative mit, da Oslo befürchtet, ansonsten zum Ersatzziel für bosnische Flüchtlinge zu werden. Norwegen hat seine Asylpolitik in den letzten Monaten erheblich verschärft. Derzeit werden die etwa 1.300 albanischen Flüchtlinge aus dem Kosovo ausgewiesen. Eine bereits für den Februar vorgesehene Massenabschiebung war wegen starker öffentlicher Proteste gestoppt worden. Um der Ausweisung zu entgehen, haben Hunderte albanischer Flüchtlinge in sechs Kirchen im ganzen Land „Kirchenasyl“ erhalten oder sind einfach untergetaucht.

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