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Frauen fordern selbstbestimmte Aids-Prävention

■ In vielen Ländern sind die Geschlechterverhältnisse das größte Hindernis für Entwicklung und Durchsetzung selbstbestimmter Präventionsmethoden für Frauen

„Für viele Frauen in der ,Dritten Welt‘ hat der Versuch, mit ihren Partnern über Safer Sex zu sprechen, Ablehnung, Stigmatisierung, ökonomische Repressalien und sogar Gewalt zur Folge“, sagte Marvellous Mhloy von der Universität von Harare/Simbabwe in ihrer zornigen Rede. Das größte Hindernis der Aids-Prävention für Frauen in Entwicklungsländern – das wurde auf dem Aids-Kongreß immer wieder deutlich – sind die Geschlechterverhältnisse. Solange Frauen keinen Zugang zu Bildung und Ausbildung haben, wirtschaftlich von Männern abhängig sind und die Beziehungen von einem Machtungleichgewicht geprägt sind, haben Frauen wenig Chancen, den Gebrauch von Kondomen durchzusetzen. Daß es dennoch erfolgreiche Präventionsprogramme gibt wie in Botswana, wo junge Städterinnen nach einer Aufklärung berichteten, sie hätten ihre Partner davon überzeugen können, Kondome zu benutzen, ist ermutigend, aber nicht der Regelfall.

Um Aids zu bekämpfen, müssen wir die Benachteiligung von Frauen bekämpfen, ihr Selbstbewußtsein stärken und ihre wirtschaftliche Unabhängigkeit fördern, sagten afrikanische, latein- amerikanische und asiatische Wissenschaftlerinnen immer wieder. Neben dieser langfristigen Strategie fordern Frauen verstärkt die Entwicklung von selbstbestimmten Präventionsmethoden für Frauen. Gedacht wird an ein Mikrobizid, das Frauen in Form einer Creme, eines Gels oder eines Zäpfchens in die Scheide einführen können, und das HIV-Viren abtötet. „Es hat Jahre gedauert, bis diese Forderung bei den Wissenschaftlern Gehör gefunden hat“, sagte die US-amerikanischen Forscherin Lori Heise. WHO-Vertreter Joep Lange erklärte: „Weltweit hat die Suche nach einer Methode, die es Frauen ermöglicht, die sexuelle Übertragung des HIV-Virus zu kontrollieren, höchste Priorität.“ Daß die Podiumsdiskussion zu diesem Thema in einen viel zu kleinen und entsprechend überfüllten Raum gelegt wurde, spricht allerdings nicht dafür, daß selbstbestimmter Prävention für Frauen ein hoher Stellenwert eingeräumt wird.

Um allzu große Erwartungen zu bremsen, erklärte Lange, die Entwicklung von Mikrobiziden stelle für die pharmazeutische Industrie eine größere Herausforderung dar als die Entwicklung neuer Medikamente für die Aids-Therapie. In der Tat sind die Anforderungen an ein solches Mittel hoch, wie die US-amerikanische Forscherin Penelope Hitchcock erläuterte. Es muß zuverlässig HIV-Viren abtöten, darf aber keinesfalls die Vaginalflora angreifen. Denn dies hätte genau die gegenteilige Wirkung, nämlich ein erhöhtes Infektionsrisiko. Viele Fragen sind noch offen, so Hitchcock. Reicht es, den Virus einzukapseln und damit unschädlich zu machen, oder muß er abgetötet werden? Und welche Dosis muß der Wirkstoff haben?

Problematisch ist auch, daß Substanzen, wie etwa Nonoxynol9, die als Vorläufer für ein solches Mikrobizid gelten können, Kondome zersetzen. Ob Nonoxynol9, das spermizid wirkt und in den USA als Verhütungsmittel eingesetzt wird, auch zuverlässig HIV-Viren abtötet, ist unklar. Umstritten ist das Mittel auch, weil es zu Unverträglichkeiten kommt.

Im Juli beginnt in den USA eine Reihe von Arbeitsgruppen mit der weiteren Forschung für ein Mikrobizid. „Doch selbst wenn alles optimal läuft, wird das Produkt frühestens in vier oder fünf Jahren auf dem Markt sein“, so US-Forscher Christopher Elias. Penelope Hitchcock nannte zwei Gründe, die die Pharmaunternehmen bislang von größeren Investitionen in diese Forschung abhalten. Zum einen seien die Marktchancen eines solchen Produktes ungeklärt, zum anderen müsse es ein politisches Signal geben, daß ein solches Medikament auch zugelassen würde.

Bei der Konferenz wurde immer wieder deutlich, daß die Forschung die spezifischen Interessen von Frauen sträflich vernachlässigt hat. In ihrer Rede nannte Marvellous Mhloy einige dieser Forschungslücken: Die steigende Zahl junger HIV-infizierter Frauen könne nicht allein mit sozioökonomischen und kulturellen Faktoren erklärt werden, deshalb müsse die physiologische Anfälligkeit für HIV von Frauen verschiedener Altersstufen erforscht werden. Unklar ist auch, welche Auswirkung eine Schwangerschaft auf den weiteren Krankheitsverlauf einer HIV-positiven Frau hat und welche Behandlung von HIV- positiven Frauen während der Schwangerschaft sinnvoll ist – auch um das Übertragungsrisiko für den Embryo zu verringern. In einer Veranstaltung klagte eine HIV- Positive: „Die Wissenschaftler lassen uns alleine mit der Frage, wie wir unsere Sexualität leben können. Sie sagen immer nur, wir müssen noch prüfen, ob diese oder jene Praktik riskant ist oder nicht.“

Kaum erforscht ist auch das Risiko für lesbische Frauen, sich mit HIV zu infizieren. Immerhin gab es erstmals auf einer Internationalen Aids-Konferenz drei Beiträge dazu. Eine Studie des Aids-Büros in San Francisco kam zu dem Ergebnis, daß 22 Prozent der lesbischen Frauen in den vergangenen drei Jahren auch Sex mit Männern hatten. 5,1 Prozent der Lesben hatte Sex mit schwulen oder bisexuellen Männern. „Sexuelle Orientierung ist nicht gleichbedeutend mit sexuellem Verhalten“, stellt Delia Garcia fest. Ihre Ergebnisse dürften in der lesbischen Gemeinschaft nicht gerade auf Begeisterung stoßen. Gehört doch Sex mit Männern zu den größten Tabus in der Szene. Das eigentlich Alarmierende ist, daß 12 Prozent der Lesben angaben, mit Männern nie Kondome zu verwenden. Lesben können deshalb keineswegs als Gruppe mit geringem Infektionsrisiko gelten. Delia Garcia machte deutlich, daß Präventionskampagnen sich auch an Lesben richten müssen. Eine weitere Studie, die sowohl die Verbreitung von HIV in der lesbischen Gemeinschaft als auch Übertragungswege untersucht, soll diesen Sommer abgeschlossen werden. Dorothee Winden, Berlin

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