: Morgens früh um sechse
■ Eine kleine Geschichte des Bremer Bürgerweiden-Flohmarktes
In den 70er Jahren, der Zeit, wo der Begriff „second hand“ seine Bedeutung bekam und sich in so vielen Städten eine Flohmarktkultur entwickelte, gab es auch in Bremen einen solchen, damals noch so exotisch und aufregend, daß es reichte, wenn er zweimal im Jahr, Frühling und Herbst, in der Innenstadt aufgebaut wurde. Er kam so gut an, daß die Stadt ihn ganz groß auf der ganzen Bürgerweide organisierte. Anfang der 80er Jahre wurde der Flohmarkt dann an das Weserufer verlegt und entwickelte sich nach und nach zum traditionellen Kajenmarkt.
Paralell dazu pachtete Hans- Jörg Winkler 1982 einen Fläche der Bürgerweide und zog dort einen kleinen, regionalen Sonntagsflohmarkt hoch, der gerade mal ein 20tel der heutigen Flohmarktfläche einnahm. Von Jahr zu Jahr nahm der Flohmarkt an Umfang und Beliebtheit zu, bis vor vier Jahren der große Boom begann. Während die Flohmärkte in anderen Städten, Hamburg, Hannover und auch der ehemals größte in Münster, geschlossen wurden — Ladenschlußgesetze und das Neuwarenverkaufsverbot wurden behördlicherweise geltend gemacht — entwickelte sich der Bremer Bürgerweidenflohmarkt zu einem solchen Anziehungspunkt für Käufer- und VerkäuferInnen aus Deutschlands Norden, daß er ohne Probleme mithalten konnte mit den großzügigen, vielfältigen und weltstädtischen Flohmarkten in Amsterdam, London, Paris.
Durch die Öffnung der Grenzen im Osten einerseits, durch zunehmende wirtschaftliche Rezession andererseits verlor der Flohmarkt allerdings für viele Menschen seinen überwiegend spielerischen Charakter und wurde, was er heute noch ist: ein echter Markt, auf dem Menschen ihren Lebensunterhalt verdienen oder aufbessern und durch günstige Einkaufsmöglichkeiten besser mit ihren Einkommen auskommen.
Über dreitausend Aufstellende finden sich jeden Sonntag ein. Morgens um vier die Profis mit ihren Lieferwagen voller Antiquitäten, die sich die besten Plätze gleich vorm Kulturzentrum Schlachthof sichern; zwischen sechs und sieben Uhr die vielen Rentner mit ihren privaten Ständen, die Studenten und Jugendlichen, Hausfrauen und VerkäuferInnen aus Bremerhaven, Wilhelmshaven, Oldenburg, ja Hamburg. Spätestens ab acht Uhr ziehen sie ihren KundInnenstrom an, zehntausend im Laufe des Vormittas, beginnend mit den TürkInnen, die vor allem günstige Kleidungsstücke suchen, über junge Eltern, ganze Familien, die Schnäppchen machen oder ihren Haushalt ergänzen, bis hin zu den Langschläfern aus dem Viertel. Fünf Mark kostet der Meter Stand, Autos extra. Hans-Jürgen Winklers Marktmeister treiben das geld ein und sorgen für den pünktlichen Schluß gegen zwei Uhr.
Den Findorffer AnwohnerInnen wurde das sonntägliche Treiben mitsamt den Verkehrsproblemen, der sanitären Notlage für die angereisten PolInnen und der übrigbleibende Müll zuviel. 1992 forderten sie in einer Beiratssitzung die Festlegung eines festen Bereiches auf der Bürgerweide für die Busse der ausländischen BesucherInnen und dort die Aufstellung von Toilettenhäuschen; die Installation von Stadtinformationsschildern in diversen Sprachen und die Prüfung der Nutzung des Campingplatzes an der Uni für ausländische Besuchergruppen. Erstmalig kam auch der Vorschlag, den Flohmarkt auf einen einzigen monatlichen Termin zu reduzieren.
Der Innensenator hat sich für diesen Forderungskatalog nur insoweit eingesetzt, als er jetzt, ein Jahr später, das Kind mit dem Bade ausschüttete und dem privaten Pächter Winkler zum Juli diesen Jahres kündigte. „Es ist nicht unsere Sache“, so Van Nispens Pressesprecherin Merve Pagenhardt, „für ein funktionierendes Flohmarktkonzept zu sorgen. Private Betreiber müssen das machen, oder der Markt kann eben so nicht mehr bestehen. Wir verpachten nur einen fiskalischen Grund der Stadt Bremen. Bis jetzt ist noch kein ausgearbeitetes Konzept vorgelegt worden. Sobald konkrete Vorschläge vorliegen, kann der Flohmarkt einmal im Monat probeweise wieder eröffnet werden.“
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