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UNO bombt für „Versöhnung“

„Recht und Ordnung“ wollte die UNO nach den Worten ihres Sonderbeauftragten in Somalia mit ihrer Offensive von Samstag morgen wiederherstellen. Doch der Vergeltungsschlag, der mit Luftangriffen der US-Streitkräfte gegen Stellungen General Aidids begann, führte zu weiteren Kämpfen und Toten.

Die UNO hat in Somalias Hauptstadt Mogadischu zugeschlagen, einige Dutzend Somalis sind tot auf der Strecke geblieben. Mit der Aura eines südafrikanischen Polizeichefs betonte der UNO-Sonderbeauftragte Jonathan Howe auf seiner im Fernsehen übertragenen Pressekonferenz, wie wichtig es sei, „Recht und Ordnung“ zu garantieren. TV- Teams des Nachrichtensenders CNN fühlten sich demgegenüber bei den nächtlichen Luftangriffen auf Stellungen des somalischen Kriegsherren General Aidid eher an den Golfkrieg gegen den Irak erinnert.

Um 4 Uhr morgens (Ortszeit) hatten drei US-Kampfflugzeuge am Samstag die lang erwartete UNO-Offensive gegen General Aidid in Mogadischu begonnen. Erstes Ziel, offenbar fast völlig zerstört: das fünfstöckige Gebäude, das Aidids Rundfunksender „Radio Mogadischu“ beherbergt. Unversehrt blieben mehrere Waffenlager und die Aidid-Kommandozentrale; bombardiert wurden weiterhin Panzer der Aidid-Truppen, die sich auf Mogadischu zubewegten, sowie in der Stadt eine ehemalige Zigarettenfabrik. Danach begann eine reibungslose UNO-Arbeitsteilung: Französische Soldaten übernahmen den zerstörten Radiosender, auf dessen Frequenz die UNO nunmehr die Somalis zur Waffenabgabe aufrief. US-Bodentruppen durchkämmten den von Aidid beherrschten Süden der somalischen Hauptstadt, wobei 19 Somalis getötet oder verwundet sein sollen. Pakistanische Blauhelme schossen auf eine unbewaffnete somalische Demonstration auf dem Weg zum UNO-Hauptquartier, das bereits vor Tagen in die besser zu sichernde ehemalige US-Botschaft verlegt worden war. Mindestens eine Person wurde getötet.

Was UNO-Sonderbeauftragter Howe am selben Tag als Beginn einer Entwaffnungsaktion im ganzen Land feierte, setzte sich gestern früh mit erneuten US-Luftangriffen fort. Ziel war diesmal Aidids Hauptquartier, wobei laut CNN „großer Schaden“ mit „vielen Toten“ angerichtet wurde. Ebenfalls bombardiert wurde ein nebenan gelegenes einstiges Industriegelände, das Waffenlager und eine Lkw-Instandsetzungsfabrik unter Leitung des hochrangigen Aidid-Mitarbeiters Osman Ato beherbergen soll. Insgesamt sollen mehrere Waffenlager gesprengt oder in UNO-Hände gefallen sein.

Die Angriffe, so die verblüffende Erklärung eines US-Militärsprechers, seien nachts ausgeführt worden, um den Schaden für die Zivilbevölkerung möglichst gering zu halten. Wie viele nichtmilitärische Ziele dabei in Mitleidenschaft gezogen wurden, verriet er nicht. Jedenfalls errichteten Bewohner Mogadischus gestern Straßensperren und demonstrierten.

Dabei ist es gestern vormittag zum bisher schwersten Zwischenfall gekommen: Vom Dach des Hotels, in dem die internationale Presse untergebracht ist, schossen pakistanische Soldaten auf eine unbewaffnete Menschenmenge, wobei mindestens 20 Menschen ums Leben kamen – darunter vier Frauen und ein kleiner Junge.

Ob dieses Blutbad die Militäraktion in ein schlechtes Licht rücken wird, läßt sich noch nicht sagen. Bisher sind alle offiziellen Stellungnahmen von Selbstbewußtsein geprägt. US-Präsident Bill Clinton verurteilte „eine kleine, aber gefährliche Minderheit von Somaliern“, die „entschlossen ist, Terror und Chaos zu provozieren“. Pakistans Ministerpräsident Nawaz Sharif beschwor einen „Heiligen Krieg gegen den Terrorismus“. UNO-Generalsekretär Butros Ghali sprach von einer „entscheidenden Aktion zur Wiederherstellung des Friedens in Mogadischu“, mit der der „politische Versöhnungs- und der Entwaffnungsprozeß in ganz Somalia fortgesetzt werden“ soll. Die UNO wolle „weiterhin mit allen verantwortungsbewußten somalischen Führern zusammenarbeiten“. Der UNO-Sekretär für Friedensmissionen, der Ghanaer Kofi Annan, erklärte: „Wir wollen aggressiv weitermachen und entwaffnen.“

Kritische Stellungnahmen sind bisher rar. „Es hat den Anschein, daß man all die Erfolge im Bereich der humanitären Hilfe vergessen hat, nur weil man bestrafen will“, meinte Nicholas Hinton, Geschäftsführer von „Save The Children“. Daß auch einigen Teilnehmern an der UNO-Mission in Somalia mulmig wird, machte Italiens Verteidigungsminister Fabio Fabbri deutlich, der bei einem Besuch in Mosambik erklärte, Italien habe auf „die Gefahr eines möglichen Volksaufstandes“ in Mogadischu hingewiesen. Solche Bedenken werden bislang von maßgeblichen Stellen nicht geteilt. Zwar betonen US-Militärkreise, das Hauptziel der Aktion sei nicht die Verhaftung Aidids, und UNO- Sonderbeauftragter Howe meinte, eine Entscheidung bezüglich Aidids werde erst nach Abschluß der genauen UNO-Untersuchung in die Zwischenfälle des 5. Juni fallen – damals waren bei Straßenkämpfen mit Aidid-Kämpfern 23 pakistanische Blauhelme und über 35 Somalis getötet worden. Aber die Stoßrichtung der Militärschläge ist eindeutig gegen Somalias mächtigsten Kriegsherrn gerichtet. Spekulationen, er sei aus der Stadt geflüchtet, zerschlugen sich gestern nachmittag, als sich Aidid auf offener Straße in Mogadischu vor die CNN-Kameras stellte und sagte: „Ich bin Teil meines Volkes, ich bin bei ihnen.“

Falls die UNO-Truppen nun versuchen sollten, Aidid zu verhaften, hätte dies unabsehbare Konsequenzen. Denn glaubwürdig ist das aggressive Vorgehen der UNO nur, wenn auch Aidid-Gegner nicht ungeschoren davonkommen. Das würde jedoch eine Ausweitung der Militärschläge bedeuten.

„Die UNO hat kaum eine Wahl“, beschrieb der in den USA lebende somalische Historiker Said Samatar am Wochenende das Dilemma der UNO: „Entweder unterstützt sie einen der Warlords total und hilft ihm, die Macht zu ergreifen, oder sie entwaffnet sie alle systematisch.“ Dominic Johnson

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