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Bahn frei für die Weltpolizei Von Mathias Bröckers

In Somalia stehen die Vereinten Nationen jetzt erstmals in der Geschichte der UN-Einsätze vor der Situation, gegen eine der Bürgerkriegs-Parteien Krieg zu führen: Spätestens seit den Luftangriffen der UN-Truppen geht der Einsatz in Somalia über humanitäre Hilfe weit hinaus.

Daß die Kohl-Regierung in dieser konkret veränderten Lage keinen Grund sieht, ihren Einsatz-Beschluß zurückzuziehen, hat einen ganz einfachen Grund: Es ging bei der Frage des Bundeswehreinsatzes von Anfang an nicht um die konkrete Lage in Somalia, sondern es ging ums Prinzip. Es ging nicht um spontane Hilfe in einem Krisengebiet, sondern um die künftige Rolle der Bundeswehr, nicht um eine moralisch gebotene Maßnahme gegen den Hunger, sondern um politische Maßnahmen zur Legitimation des Verteidigungsapparats, dem mit dem Zusammenbruch des Warschauer Pakts plötzlich die Geschäftsgrundlage entzogen war.

Wozu, mögen sich viele Bürger nach dem Verschwinden des „Todfeinds“ im Osten gefragt haben, brauchen wir im Westen noch eine Nato und derart aufgeblähte nationale Armeen – und die Antwort der Strategen kam prompt: für internationale Hilfseinsätze in Krisengebieten. Nun ist es keine Frage, daß nach der Wiedererlangung der staatlichen Souveränität auch die militärische Rolle Deutschlands eine Neudefinition verlangt. Die Art und Weise aber, wie diese Neudefinition von der Regierung vorangetrieben wird – nicht in einer breiten, öffentlichen Diskussion, sondern in einer sich an aktuellen Krisensituationen entlanghangelnden Salamitaktik des Fakten- Schaffens – ist skandalös. Wenn grundlegende politische Fragen wie die Rolle des Militärs nicht politisch diskutiert und entschieden, sondern in Eilaufträgen der Justiz zur gefälligen Erledigung zugeschoben werden, hat das mit Demokratie nicht mehr viel zu tun.

Ja aber brauchen wir nicht eine globale Friedenssicherung, und ist es nicht selbstverständlich, daß auch Deutschland seinen Teil zu einer solchen künftigen Weltpolizei beiträgt? Auch das ist gar keine Frage – aber in der Art und Weise, wie dieses Thema derzeit behandelt wird („Die Deutschen können nicht weglaufen, wenn's gefährlich wird“, H. Kohl), kommen die entscheidenden Punkte überhaupt nicht vor. Denn eine solche unter UN-Kommando agierende Friedenssicherungs-Truppe macht doch nur unter einer Voraussetzung Sinn: daß mit ihrem Aufbau als internationale Armee gleichzeitig alle nationalen Armeen abgebaut werden. Anders ist eine effektive Weltpolizei überhaupt nicht denkbar, oder soll sie gegen jeweils bis an die Zähne bewaffnete nationale Verteidigungstruppen antreten? Abbau der Bundeswehr zur reinen Grenzsicherung und Ausbau eines deutschen Kontingents für die UN-Eingreiftruppe – das ist der Kern der öffentlichen Diskussion, die eigentlich geführt werden müßte. Das Geschwätz von „humanitärer Hilfe“ und dem Verlust des „deutschen Ansehens im Ausland“ dient nur dazu, diesen Punkt zu vernebeln. Nicht die Menschenwürde in Afrika, das Militär in Deutschland – von der allgemeinen Wehrpflicht bis zum Jäger „light“ – wird mit dieser Operation verteidigt.

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