piwik no script img

■ Die Angst der SPD vor politischen ExperimentenVerhängnisvolle Botschaft

Das Signal ist eindeutig. Mit Rudolf Scharping haben diejenigen in der SPD sich durchgesetzt, die vor allem eins fürchten: politische Experimente. Nach innen erhoffen sie sich von Scharping eine Konsolidierung, eine Beruhigung der in weiten Teilen verunsicherten, desorientierten Partei. Nach außen gilt Scharping ihnen als Garant für Solidität, als ein Politiker, der niemanden verschreckt. Innerparteilich mag eine Politik der Risikominimierung kurzfristig von Erfolg gekrönt sein, doch außerhalb des SPD-Biotops gelten andere Gesetze. Auf politisch leisen Sohlen – und für einen solchen Politikstil steht Scharping – gelangt man in Bonn nicht zur Macht. Das wissen auch viele Scharping-Förderer, die deshalb offen oder insgeheim auf Oskar Lafontaine als Kanzlerkandidat hoffen. Doch selbst wenn sich Scharping noch zum Tandem entschlösse: Mit dem Saarländer säße jemand auf dem Rad, dem der Ruf des ertappten „Abzockers“ vorauseilt. Sehen so Sieger aus?

Der ernsthafteste Gegner für Helmut Kohl, Gerhard Schröder, ist nach dem Mitgliedervotum aus dem Spiel. Nicht zuletzt deshalb, weil diejenigen in der SPD, welche die von ihm skizzierte Ablöseperspektive mehrheitlich wollten, ihre Stimmen mit politisch fatalem — aber voraussehbarem – Ergebnis auf Wieczorek-Zeul und Schröder brav aufteilten. Eine weitere strategische Meisterleistung der SPD-Linken ... Auch wenn die Mehrzahl der demokratisch gesonnenen, ökologisch orientierten Linken außerhalb der SPD den Kampf um die Parteispitze teilnahmslos und desinteressiert verfolgt haben, die Folgen dieser Entscheidung bekommen auch sie zu spüren. Sicher, auch mit Schröder standen keine radikalen, an die Wurzel unserer „selbstmörderisch-verrückten Zivilisation“ (Bahro) reichenden Korrekturen bevor, aber die Diskussion über eine Alternative zum Bonner „Weiter- so-Gewurschtel“ hätte seine sozial-ökologische – vulgo: rot-grüne – Ablösungsperspektive gewiß entscheidend gefördert. Und genau darauf kommt es heute an, denn die Zeit der linken Wahrheitsbesitzer ist glücklicherweise zu Ende. Weil niemand den Königsweg zur Umsetzung einer neuen Politik kennt, bleibt nur der offene Suchprozeß, um über Versuch und Irrtum jenen verschlungenen politischen Pfad einzuschlagen, der zur Zukunftsbewältigung taugt. Ob es ihn überhaupt gibt, steht dahin, aber wer sich mit der Rolle des politischen Zynikers nicht bescheiden mag, dem bleibt nur im Sinne von Hans Jonas, so zu handeln, „als ob eine Chance da wäre, sogar, wenn man selber sehr daran zweifelt“.

Mit dem Votum für die vermeintlich risikoloseste Variante hat die SPD in Wahrheit den gefährlichsten Weg beschritten, weil der damit verbundene politische Stillstand die Gesellschaft insgesamt auf eine abschüssige Bahn befördert. Wer sich nicht zu der potentiellen gesellschaftlichen Reformmehrheit, die sich in der gegenwärtigen Lage nur als rot-grünes Bündnis denken läßt, bekennt, zerstört jede Hoffnung auf einen Neuanfang. Dabei kommt diese Richtungsentscheidung der SPD vielen Grünen gewiß gerade recht. Sie können jetzt weiter die oppositionelle Pose pflegen, statt sich über das Fundament einer politisch umsetzbaren Alternative zu verständigen. Scharpings Wahl erlaubt ihnen, den unvermeidbaren politischen Reifeprozeß noch einmal um Jahre zu verschieben. Auch das ist fatal. Walter Jakobs

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen