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Über die Wiederbelebung zweier Gattungen Von Andrea Böhm

Keine Frage, es gab in der letzten Woche mehrere Ereignisse, die potentiell von kulturell und politisch weitreichender Bedeutung sind: Die Amerikaner haben zum ersten Mal in der Geschichte ihres Landes die Live-Übertragung eines Fußballspiels gesehen; Chelsea Clinton ist in die neunte Klasse versetzt worden, und in Washington sind die ersten Autoaufkleber aufgetaucht mit der Aufschrift: „Don't blame me. I voted for Bush.“

Bloß interessiert all das niemanden, weil das ganze Land zur Zeit mit nur einem Thema befaßt ist: Waren die Dinosaurier möglicherweise viel liebevoller und menschlicher, als wir bislang dachten? Wenn ja, gibt es die Möglichkeit, sie wiederzubeleben?

Das Ausmaß dieses paläontologischen Kollektivwahns wurde vollends klar, als das renommierte ABC-Politmagazin, das sich ansonsten mit dem Krieg in Bosnien oder dem Haushaltsdefizit in den USA beschäftigt, seine gesamte Sendezeit zwei Wissenschaftlern widmete, die über die genetische Revitalisierung von Tyrannosaurus Rex und Co. disputieren durften.

Diese Sympathiewelle für den Alptraum aller Kinder geht unter anderem auf die jüngere paläontologische Sozialforschung zurück: Dinosaurier kannten durchaus family values und waren entgegen allen Vorurteilen um das Schicksal und die Erziehung ihres Nachwuchses besorgt. Sie haben auch keine Autos zertreten oder mit ihrem Maul durch die Gegend geschleudert. Nicht nur, weil man vor 130 Millionen Jahren noch ausschließlich zu Fuß stapfte, sondern auch, weil sich laut Experten ein Tyrannosaurus selbst an einem Toyota-Kleinwagen die Zähne ausgebissen hätte. Natürlich steckt hinter dem neuen Trend vor allem Gevatter Kommerz; schließlich mahlen seit Wochen die Mühlen von Hollywoods PR-Maschine für Steven Spielbergs neues Opus „Jurassic Park“, indem sich ein Wissenschaftler-Team unter Laborbedingungen eine Herde Dinosaurierinnen zusammengeklont hat. Böse und Gute, allesamt häßlich und weiblich, was die Zeitschrift Newsweek zu der Bemerkung veranlaßte, es gebe durchaus große Rollen für Frauen in Hollywood.

Nach all dem PR-Rummel kann Spielberg nun gar nicht anders, als mit dem Film mindestens so viel einzuspielen, wie er für die Produktion ausgegeben hat: 60 Millionen Dollar. Spielzeugfirmen werfen Brachiosaurier als Kuscheltiere oder für die Plastiksammlung der Kleinen auf den Markt; „Jurassic Park“ gibt es demnächst als Nintendo-Spiel, und MacDonald's serviert ab sofort „Dino-Fritten“.

Konkurrent Burger King hat bei seiner jüngsten Werbeoffensive wohl aufs falsche Pferd gesetzt: Auf den neuen Schwarzenegger „Last Action Hero“. Statt des viel beliebteren T-Rex muß der Konzern nun Arnolds Alfred-E.-Neumann-Gesicht auf die Milk-Shake-Becher drucken. Zumindest suggeriert der Titel eine gewisse Themenähnlichkeit zu Spielbergs Saurierfilm: Last Hero? Die Spezies des Schwarzeneggers vom Aussterben bedroht? Falls ja, sollte er schleunigst eine Kostprobe seiner DNA im Hollywood-Genetik-Labor hinterlegen. Womit man dann ähnlich den Dinosauriern bei der zentralen Frage angelangt wäre: Wozu, in Teufels Namen, soll die Wiederbelebung solcher Gattungen gut sein?

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