■ Wütend über verletzte ntegrität: Parallel zu den wohlfeilen Politikerreden der offiziellen UN-Menschenrechtskonferenz in Wien berichteten Frauen gestern im Rahmen eines "Tribunals" über Verletzungen der Menschenrechte von Frauen
Wütend über verletzte Integrität
Stop rape“, Stoppt Vergewaltigung – mit dieser Aufforderung sind Flure und Wände im Untergeschoß des Wiener UN-Kongreßzentrums derzeit plakatiert. Unterhalb der gediegenen Atmosphäre der offiziellen Menschenrechtskonferenz dominieren Farben und lautes Stimmwirrwarr. Und nicht nur auf Plakaten sind Frauen und ihre Forderungen auf dem Treffen der regierungsunabhängigen Organisationen (NGOs) präsent. Eingeleitet wurde die Kampagne für Frauenrechte vom Center for Women's Global Leadership an der Rutgers University in New Jersey schon weit vor dem Beginn der Wiener Konferenz mit einer internationalen Petition, die festhält: „Gewalt gegen Frauen verletzt die Menschenrechte.“ Mit mehr als 500.000 Unterschriften soll sie am kommenden Donnerstag der offiziellen Konferenz vorgelegt werden.
Schon auf dem Abschlußplenum des NGO-Forums am vergangenen Samstag erzielten Frauenrechte große Aufmerksamkeit von seiten aller Menschenrechtsorganisationen. Sudanesinnen in traditionellen Gewändern und Inderinnen im Sari trafen auf US-Amerikanerinnen in Jackett. Und das Frauenradio FIRE aus dem mittelamerikanischen Costa Rica läßt täglich Frauen zu Wort kommen, die auf die Verletzung ihrer Rechte im Heimatland berichten.
Höhepunkt der Frauenaktionen auf dem zweiten Menschenrechtskongreß der Vereinten Nationen war jedoch eindeutig das gestrige „Weltweite Tribunal zu Verletzungen der Menschenrechte von Frauen“. Um der offiziellen Konferenz mit ihren wohlfeilen Politikerreden erlebte Frauenrealität entgegenzusetzen, kamen gestern 25 Frauen aus allen Kontinenten zu Wort, um Zeugnis abzulegen. Mehr als 500 BesucherInnen drängten sich schon am frühen Morgen in den Saal. Und im Laufe des Tibunals verirrte sich auch so manch offizielles Regierungsmitglied in das Untergeschoß, um für einen Moment den erschütternden Berichten der Frauen zu lauschen.
Schon in ihrer Eröffnungsrede machte die österreichische Frauenministerin Johanna Dohnal deutlich, worum es Frauen auf dieser Konferenz geht. „Die Vereinten Nationen müssen abkommen von ihren männlich dominierten Normen.“ Sie unterstrich die von Frauenorganisationen aus aller Welt aufgestellten Forderungen nach einer formellen Anerkennung der Frauenrechte als Menschenrechte und der Einsetzung einer UN-Sonderberichterstatterin über die systematischen Menschenrechtsverletzungen an Frauen.
Daß Frauenrechte nicht automatisch als Menschenrechte gelten und damit von der internationalen Staatengemeinschaft an den Pranger gestellt werden, zeigt sich am deutlichsten bei der Gewalt in der Familie. „Mein Mann prügelte mich fast täglich. Durch seine Gewalt habe ich zwei Fehlgeburten erlitten.“ Mit diesen Worten machte Gayla Thompson, eine schwarze US-Amerikanerin, den Anfang der langen Liste der Anklagen. Und als die Brasilianerin Maria Celsa da Conceicao in bewegten Worten von dem Mordversuch ihres Mannes berichtete, der sie im Streit mit Kerosin übergoß und anzündete, stockte vielen im Auditorium der Atem. „Ich habe Brandmale am ganzen Körper, ich begann damals zu schreien, und ich schreie noch heute. Die Vereinten Nationen müssen meine Klage anhören.“
Von den Frauen, die gestern in Wien eigene Erlebnisse bezeugten, konnte kaum eine Tränen und Schmerz unterdrücken. Gleichzeitig machten sie jedoch deutlich, daß sie wütende Überlebende einer männlichen Gewalt sind, die die Integrität und das Recht auf Leben von Frauen zutiefst verletzt.
Daß Frauenrechtsverletzungen sich nicht nur in der Privatsphäre abspielen, sondern auch offiziell von einigen Regierungen forciert und geduldet werden, dokumentierte nicht nur die Algerierin Khalida Messaoudi, die auf die perfide Rechtssituation in ihrem Land verwies (siehe Interview auf dieser Seite). Weltweit verletzen nationale Gesetze die körperliche Integrität und das Recht auf selbstbestimmte Fortpflanzung. Zwangssterilisationen in vielen Ländern des Südens – wie beispielsweise Indien – stehen verordneten Zwangsschwangerschaften in Ländern mit rigiden Abtreibungsverboten gegenüber – wie Polen oder Irland. Daß diese Forderung auf selbstbestimmte körperliche Integrität bei der internationalen Gemeinschaft auf taube Ohren stoßen wird, ist abzusehen.
Doch auch von staatlichem Terror war gestern in Wien die Rede. Die heute 68jährige Bok Dong Kim, eine der wenigen koreanischen Überlebenden der japanischen Zwangsprostitution, verbrachte acht Jahre ihres Lebens in der „Sklaverei der Japaner“. Noch heute lehnt die japanische Regierung jedoch jegliche Verantwortung für die sexuelle Versklavung koreanischer, philippinischer und chinesischer Frauen in den 30er Jahren ab. Dabei, so die koreanische Sozialwissenschaftlerin Chin Sung Chung, belegten längst Dokumente, daß die Versorgung der Armee mit sexuellen Dienstleistungen von Regierungsseite sorgfältig geplant und vorbereitet worden war. Ob die internationale Gemeinschaft den anerkannten Wirtschaftspartner in Fernost deshalb ächten wird, bleibt jedoch mehr als fraglich.
„Die Garantie von Menschenrechten für Frauen ist ein moralischer Imperativ“, deklamierte der US-amerikanische Außenminister Warren Christopher gestern in seiner Rede vor dem offiziellen Plenum der Menschenrechtskonferenz. Doch bis dahin scheint es noch ein langer Weg. Ein erster kleiner Schritt ist vielleicht die Ernennung einer Sonderberichterstatterin über Gewalt gegen Frauen. Dafür wollen sich die USA nach den Worten des Herrn Christopher in Wien stark machen.
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