: Die „Bürokratisierung der Folter“
■ In Israel fand eine Konferenz von Menschenrechts- und Hilfsorganisationen über die Folter palästinensischer Gefangener in israelischen Gefängnissen statt
Tel Aviv (taz) – Der israelische Geheimdienst Shin Bet foltert palästinensische Häftlinge mit Wissen und Billigung der Regierung. So der Tenor einer Konferenz zum Thema „Der internationale Kampf gegen die Folter und das israelische Beispiel“, bei der sich am letzten Wochenende in Tel Aviv Mitglieder palästinensischer, israelischer und internationaler Menschenrechts- und Hilfsorganisationen zur Diskussion und zum Erfahrungsaustausch über die Rehabilitationsmöglichkeiten bei Folteropfern trafen.
Veranstalter der Tagung, zu der auch Vertreter des Roten Kreuzes, von amnesty international und des UN-Flüchtlingshilfswerkes für die Palästinenser (UNRWA) kamen, war die „Menschenrechtsvereinigung der israelisch-palästinensischen Ärzte“ (PHR) und das „Öffentliche Komitee gegen Folter in Israel“ (PCATI). Bei der abschließenden Pressekonferenz am Montag zog PHR-Leiter Neve Gordon Bilanz: Von den rund 10.000 palästinensischen Gefangenen, die jedes Jahr die israelischen Militärgefängnisse durchliefen, würden 20 bis 25 Prozent Opfer von Mißhandlungen bei Verhören.
Die Teilnehmer diskutierten über die Geschichte der Folter in den israelischen Gefängnissen, über die staatliche Protektion der Täter und die oft lebenslangen psychischen und physischen Folgen für die Opfer der teilweise schweren Mißhandlungen. Und immer wieder kam die Verantwortung der Gefängnisärzte in die Debatte. Der israelische Rechtsanwalt Avigdor Feldmann hielt ein Referat über die allmähliche Durchsetzung der Folter, die er vor allem auf die Aktivitäten des israelischen Geheimdienstes zurückzuführte. Der Geheimdienst, der „mit dem Staat Israel kam“ und sich „jenseits der Gesetze“ als „parasitäres System“ in den offiziellen Strukturen von Polizei und Gefängnisverwaltungen etabliert habe, nutze die Macht dieser Institutionen für die eigenen illegalen Zwecke, sagte Feldmann. Es gebe weltweit zwei Arten von Staaten, in denen gefoltert werde. Die einen bestritten diesen Umstand rigoros, die anderen bemühten sich um seine Legitimation. Israel sei auf dem Wege von einem leugnenden zu einem legitimierenden Staat, denn „hier findet eine Bürokratisierung der Folter“ statt. Die Fundamente für diesen „postmodernen Folterstaat“ seien durch den Bericht der israelischen „Landau-Kommission“ gelegt worden, die dem Geheimdienst gestattet habe, „moderate physische Gewalt“ gegen Häftlinge anzuwenden. Die Legitimation der Folter führe dazu, daß jedes „Gefühl von Scham“ verschwinde.
„Eine Gesellschaft, die solche Praktiken duldet, bedarf der Selbstimmunisierung“, führte Professsor Stanley Cohen von der Jerusalemer Hebrew-University in seinem Referat aus. „Obwohl die Folter zur Routine geworden ist, wird die Öffentlichkeit nicht darüber informiert und sie will auch nichts davon wissen.“ Cohen versuchte eine Analyse der offiziellen Sprachregelungen zu diesem Thema. Die öffentliche Legitimation erfolge in drei Schritten: Man halte an der Illusion fest, daß es keine Folter gebe. Wenn dann doch Fälle von Folter an die Öffentlichkeit kämen, würden sie umgedeutet oder als notwendige Selbstverteidigung verteidigt – etwa als Kampf gegen den arabischen Terror. Damit werde ein Konsens zum Thema Folter geschaffen, der sich folgendermaßen beschreiben lasse: „Israel ist eine funktionierende Demokratie. Alle wesentlichen Gesetze werden beachtet. Aber mit den besetzten Gebieten ist das etwas anderes. Jeder sieht ein, daß die Rechtsstaatlichkeit an der Grünen Linie endet.“
Die seit einigen Jahren in Tübingen lebende israelische Rechtsanwältin Felicia Langer, die sich durch ihr jahrzehntelanges Engagement für palästinensische Gefangene einen Namen gemacht hat, kritisierte in ihrem Beitrag das internationale Stillschweigen über die israelische Politik. „Obwohl Israel Kinder tötet und Menschen mißhandelt, genießt dieser Staat immer noch internationale Immunität. Wenn ein Staat solche Immunität genießt, verliert er alle Hemmungen.“ Auch Deutschland solle sich durch den Antisemitismusvorwurf nicht mehr von Kritik an Israel abhalten lassen. Ludwig Watzal
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