: Japans Premier vor dem Sturz?
■ Miyazawa hat im Parlament keine Mehrheit mehr / Konflikt um Reform des Wahlgesetzes spitzt sich zu / Abstimmung über Mißtrauensantrag steht bevor
Tokio (taz) – Nach knapp vierzig Jahrzehnten an der Macht steht die japanische Regierungspartei vor einer Spaltung, die schon in den nächsten Tagen Premierminister Kiichi Miyazawa zu Fall bringen könnte. Japanische Beobachter räumten gestern Abend einem parlamentarischen Mißtrauensantrag der Oppositionsparteien gegen die Regierung gute Erfolgschancen ein. Denn im Laufe des Tages signalisierten zunächst die zögerlichen Kommunisten und schließlich auch eine Dissidentengruppe innerhalb der Regierungspartei ihre Unterstützung.
Auslöser für die Krise innerhalb der Liberaldemokratischen Partei (LDP) ist ein neues Wahlgesetz, mit dem die politische Korruption gestoppt werden soll. Die Reform sieht Wahlkreise vor, in denen nur noch ein Mandat vergeben wird; bisher kämpfen in Wahlkreisen mit drei bis fünf Mandaten nicht nur Regierung und Opposition, sondern auch mehrere Kandidaten der LDP gegeneinander. Besonders die Konkurrenz innerhalb der LDP hat in der Vergangenheit die Wahlkampfkosten in die Höhe getrieben und damit der Korruption Vorschub geleistet.
Die Spaltung der Liberaldemokraten kündigte sich an, als die Partei bereits im April den Entwurf für ein neues Wahlgesetz verabschiedete – jedoch mit dem unerklärten Willen, eine Reform um jeden Preis zu verhindern. Der LDP- Entwurf sah nämlich die Einführung eines reinen Mehrheitswahlrechts vor, welches die Oppositionsparteien auf keinen Fall akzeptieren konnten. Aufgrund der oppositionellen Mehrheit im Oberhaus, der zweiten Parlamentskammer, konnte nur ein Kompromiß zur Verwirklichung der Reformen führen.
Überraschend schnell einigten sich die Oppositionsparteien Ende Mai auf ihren Reformvorschlag. Der Wahlgesetzentwurf der Opposition sieht eine Mischung von Mehrheits- und Verhältniswahlrecht nach deutschem Modell vor, welche das Überleben der kleinen Parteien garantieren würde. Ein großer Teil der Regierungspartei, inklusive Premierminister Miyazawa, sprach sich daraufhin für eine Einigung mit der Opposition aus. Erst als sich Anfang dieser Woche abzeichnete, daß eine gemeinsame Lösung von der LDP- Parteispitze nun ausgeschlossen und vermutlich schon von Anbeginn nicht gewollt wurde, brach die Partei entzwei.
Bleibt es bei den Voraussagen, dann hat Premier Kiichi Miyazawa zur Zeit keine Mehrheit im Parlament mehr hinter sich. Alle Blicke richteten sich dabei gestern auf Ichiro Ozawa und Tsutsumo Hata, die Führer eine 35köpfigen Dissidentengruppe innerhalb der LDP, deren Stimmen bereits ausreichen, um gemeinsam mit der Opposition die Regierung zu stürzen.
Hata hatte bereits im Frühjahr den freigewordenen Posten des Außenministers abgelehnt, um sich auf die Parlamentsarbeit zu konzentrieren. Seinen großen Auftritt hatte der ehemalige Finanzminister schließlich gestern, als er mit der Entscheidung seiner Gruppe möglicherweise schon das Ende der Miyazawa-Regierung bekanntgab: „Wir wollen der Öffentlichkeit beweisen, daß Politiker auch ein Gewissen haben“, begründete Hata seine Unterstützung für den Mißtrauensantrag der Opposition. „Damit bewahren wir den ursprünglichen Geist unser Partei.“
Noch steht offen, wann der Mißtrauensantrag im Parlament zur Abstimmung kommt. Mit allen Mitteln versuchte die LDP-Führung gestern, die Abstimmung aufzuschieben und einzelne Abgeordnete aus dem Dissidentenlager herauszubrechen. Die Hilflosigkeit der Regierung aber wurde bereits am Abend deutlich, als Regierungssprecher Yohei Kono die Abgeordneten zur Vernunft aufforderte, weil in nur drei Wochen der Weltwirtschaftsgipfel der sieben mächtigsten Industrieländer in Tokio stattfände.
Tatsächlich kümmert die Parlamentarier derzeit alles andere, aber nicht die Kohls und Clintons. „Wenn wir die politische Reform diesmal nicht durchsetzen, wird die japanische Demokratie in Gefahr geraten“, hatte Premierminister Kiichi Miyazawa erst vor zwei Wochen bemerkt. Nun scheint es der japanischen Demokratie besser denn je zu gehen - nur der Premierminister ist in Gefahr. Georg Blume
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