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Kohle für Rubel aus Sachsen

Der Volksdeputierte Jurij Gecht kauft in Pirna eine Papierfabrik als Liefarant für Moskaus Rubeldruckerei und bezahlt mit russischer Kohle  ■ Aus Pirna Detlev Krell

Er ist ein rundlich-stämmiger selbstbewußter Mann um die 60, mit rötlichen Pausbacken und einem grauen Bartrahmen um den Mund: Jurij Grigorjewitsch Gecht. Als er am Mittwoch das Protokoll für den Kauf des seit eineinhalb Jahren stillgelegten Zellstoffwerkes Pirna unterzeichnete, saßen mehrere Minister der russischen Regierung neben ihm, denn schließlich ist der Volksdeputierte nicht irgendwer, sondern ein Mann mit besten Verbindungen.

Gecht, Vorsitzender der Industriepartei und Leiter des Wirtschaftsausschusses im Obersten Sowjet, ist Generaldirektor und Mehrheitsgesellschafter der Sokolniki AG Moskau, eines der ersten privatisierten Unternehmen der Ex-Sowjetunion. Zur Sokolniki-Gruppe gehören die „Moskauer Tapetenfabrik“ und die Wertpapier-Fabrik „Serpuchow“, die das Papier für Rubel-Scheine und andere Staatsfinanzpapiere herstellt.

Die Sokolniki AG wiederum ist Haupteignerin der Sokolniki International AG mit Sitz in Vaduz, wo die internationalen Fäden des Unternehmens zusammenlaufen. An diesen Fäden hängen bereits eine Tapetenfabrik in Bulgarien und Geschäftsanteile an der finnischen Papierfabrik „Strömsdal“.

Auf die Frage, ob sein Vorstoß auf den Westmarkt in Rußland Schule machen werde, entgegnete Gecht in Pirna lächelnd: „Wenn Sie sehen, daß hier der Erste Stellvertretende des Obersten Sowjets der Russischen Föderation, der Wirtschaftsminister und der Erste Stellvertreter des Ministers für wirtschaftliche Außenbeziehungen anwesend sind, warum haben Sie noch Zweifel?“

In Pirna wird seit mehr als 100 Jahren Zellstoff produziert. Mit der Aktion „Wir schließen den Kreislauf“ machte Greenpeace 1990 auf die Elbwasserverschmutzung durch das Zellstoffwerk aufmerksam. Im Dezember 1991 legte die Treuhand das Werk still. Von 800 Beschäftigten blieben 130, die sich seitdem in der „ABS Industrieregion Pirna/Heidenau“ mit dem Abriß maroder Anlagen über Wasser hielten.

Nach Auskunft des Direktors Abwicklung der Treuhand, Ludwig Tränkner, hatten sich 30 deutsche Käufer um das Werk bemüht. Den Zuschlag für „eine symbolische Mark“ erhielt schließlich der Investor aus Moskau, für den sich im Februar 1992 der damalige russische Ministerpräsident Jegor Gaidar gegenüber dem damaligen Wirtschaftsminister Jürgen Möllemann persönlich eingesetzt hatte. Gecht sagte zu, die 130 Beschäftigten zu übernehmen, mehr als 250 Millionen DM zu investieren und das „sauberste Zellstoffwerk Deutschlands“ zu bauen. In 22 Monaten will er mit 220 Beschäftigten zu produzieren beginnen.

Zur Finanzierung der Investitionen ist ein bisher einmaliger Deal ausgehandelt worden. Der Käufer muß lediglich acht Millionen Mark als Anschubfinanzierung auf den Tisch legen. Danach rollt die Kohle aus den Regionen Workuta, Jakutien und Kusbass, nach Deutschland. Der Treuhandanstalt liegen Exportgarantien der russischen Minister für Kohle und für Wirtschaft über acht Millionen Tonnen vor. Kohle für den Gegenwert von 200 Millionen DM soll über die HCC Hanseatic Cole&Coke Trading GmbH Hamburg vertrieben werden. Bedenken über EG-Richtlinien zerstreute Hanseatic-Chef Reinhard Seifert: „Die Hauptmenge der russischen Kohle soll auf dem Weltmarkt untergebracht werden. Nur eine kleine Menge innerhalb der Kontingente wird zur Verstromung in Deutschland vertrieben.“ Die Qualität der Kohle entspreche „der ganzen Palette, von sehr gut bis sehr schlecht“.

Der umtriebige Gecht erklärt das Tauschgeschäft als derzeit einzigen Weg, dem „verrückten Umtauschkurs“ zu entgehen. Sachsen verspreche ihm ein gutes Geschäft, denn für seine Moskauer Fabrik brauche er große Mengen hochwertigen Zellstoffs. „Der Neubau einer Fabrik und die Ausbildung von Fachleuten in Rußland kostet zehnmal mehr als die Rekonstruktion des Pirnaer Zellstoffwerkes.“ Einen weiteren Vorteil erwähnte Gecht nicht – daß er nämlich so ganz legal ein Devisenkonto im Ausland unterhalten kann, denn normalerweise müssen russische Unternehmer einen Großteil ihrer Deviseneinnahmen umrubeln.

Potentielle Partnerbetriebe in Rußland liegen zwischen 8.000 und 10.000 Kilometer von Moskau entfernt; nach Sachsen seien es „nur etwa 2.000 Kilometer“. Der Investor will die in den achtziger Jahren installierte Zellstofflinie weitgehend übernehmen und zu einem geschlossenen Stoffkreislauf ausbauen. Ab 1995 soll jährlich mit 100.000 Tonnen Chemiezellstoffen ein Jahresumsatz von 125 Millionen DM gemacht werden.

Für Sachsens Wirtschaftsminister Kajo Schommer (CDU) war das von Balalaika-Klängen begleitete Pirnaer Treffen ein „historisches Ereignis“. Wenn Gecht in 22 Monaten das Band zum rekonstruierten Zellstoffwerk durchschneidet, hat er wohl alle Chancen, Ehrenbürger von Pirna zu werden. Bei der Übernahme des silbern glänzenden Firmenschlüssels wurde er bereits mit Zar Peter I. verglichen. Der hatte vor 300 Jahren für das rückständige Rußland das Tor zum Westen aufgestoßen.

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