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Warum den Löffel neu erfinden?

■ Mit Philip Johnson, der am Ende einer langen und höchst erfolgreichen, aber auch umstrittenen Architektenkarriere nun in Berlin baut, der Stadt, in der er seine ersten architektonischen Eindrücke erhielt, sprach Gerhard Midding

Philip Johnson (87), höchst einflußreicher Doyen der amerikanischen Architektur studierte in Havard Philosophie. Anschließend wurde er in einem dreijährigen Deutschlandaufenthalt Anfang der dreißiger Jahre mit dem Neuen Bauen bekannt. 1932 machte er als der erste Direktor der Architekturabteilung des jungen Museum of Modern Art Furore, als er gemeinsam mit dem Architekturhistoriker Henry-Russell Hitchcock die Ausstellung „The International Style: Architecture Since 1922“ organisierte. 1940 begann der begüterte Sohn aus guter Familie wiederum in Havard Architektur zu studieren. Trotz seines Engagements für das Neue Bauen in Amerika war seine Haltung zum Funktionalismus von Skepsis geprägt: „Sie können einen Bau verschönern, indem Sie Toiletten einbauen“. Auch wegen solcher Äußerungen sind seine Vorlesungen zur Architektur berühmt. In der Reihe „Berliner Lektionen 93“ sprach er über „Berlins letzte Chance – Schinkel, Messel, Mies van der Rohe – und was nun?“. Heute abend um 23 Uhr ist sein Vortrag auf B1 zu sehen.

taz: Mr. Johnson, Sie haben eines der fünf Gebäude des Amerikanischen Geschäftszentrums am Checkpoint Charlie entworfen. Welchen Problemen mußten Sie sich dabei stellen?

Philip Johnson: Ich stimme mit der Berliner Haltung zum Problem der Stadtplanung überhaupt nicht überein, ich finde sie völlig überholt und altmodisch. Mein Gebäude befindet sich am sensibelsten Standort überhaupt: in der Friedrichstraße. Dort soll genau nach den alten Baubestimmungen gebaut werden. Vor dem Krieg war das eine sehr enge Straße, und genau nach dieser Straßenführung muß ich mich nun orientieren. Also wird das wieder eine sehr enge Straße, alles wird dicht zusammengedrängt. Ich glaube nicht, daß man sie in den nächsten zehn Jahren wird befahren können.

Mit welchen Vorgaben hadern Sie am meisten? Mit den Innenhöfen?

Innenhöfe mögen wir Amerikaner nicht. Es wäre unmöglich, sie einem amerikanischen Bauherrn zu verkaufen. „Backyard“ ist ein richtiges Schimpfwort für uns. Wir bauen lieber in die Höhe.

Tatsächlich haben Sie in den frühen Dreißigern den Wolkenkratzer als das Geschenk Amerikas an die Architekturgeschichte gefeiert.

Das glaube ich noch immer.

Ein Symbol für amerikanischen Größenwahn?

Ja, das ist eine Frage des Nationalstolzes: Wir bauen höher als jede andere Nation der Welt. Das hat ausnahmsweise einmal nichts mit dem Geld zu tun.

Wirklich nicht?

Doch, unter anderem hat es auch damit zu tun. Wenn man höher als jeder andere baut, kann man natürlich mehr Fläche vermieten.

Ist die „skyline identity“ noch immer ein wichtiges Aushängeschild für Ihre Bauherrn?

Natürlich. Wenn ein Gebäude das höchste am Ort ist, schreiben die Zeitungen darüber. Im Denken vieler Leute steht das größte Gebäude gleichzeitig auch für das beste; deshalb bemüht man sich, dort Bürofläche zu mieten.

Sie und Ihr Partner John Burgee haben viele Wolkenkratzer entworfen, die nicht nur wegen ihrer Höhe prestigeträchtig sind. Ich denke beispielsweise an das AT&T-Gebäude und an seinen markanten Giebel.

Das Gebäude ist tatsächlich nicht sehr hoch, wir haben gerade so hoch gebaut, wie es die gesetzlichen Bestimmungen erlaubten: 37 Stockwerke. AT&T wollten ein Gebäude, das den Leuten auffällt und das sie wiedererkennen. Und das haben sie jetzt.

Giebel sind enorm wichtig: Wie sonst könnte man in New York die Gebäude auseinanderhalten? Das Dach ist das einzige Merkmal, das viele Häuser von denen in ihrer Nachbarschaft unterscheidet. Eine Ausnahme sind da vielleicht die beiden trostlosen Türme des World Trade Center. Die fallen nur auf, weil sie Zwillingstürme sind.

Sie haben zeitlebens keinen Hehl daraus gemacht, daß Architektur Sie nur um der Kunstfertigkeit willen interessierte, politische und soziale Probleme des Bauens wollten Sie ausklammern. Halten Sie an dieser Position fest?

Natürlich berührt die Architektur soziale Fragestellungen. Der gesellschaftliche Hintergrund des Bauens ist unermeßlich wichtig, besonders in Amerika, wo es ja beispielsweise keinen sozialen Wohnungsbau gibt. Ein erstaunliches Land! Die Amerikaner schenken diesen Problemen keinerlei Beachtung, aber irgendwann werden sie dazu gezwungen sein, denn es gibt einfach keinen Wohnraum für die Menschen. Das ist eine ungeheuerliche Entwicklung, aber sie entspricht dem kapitalistischen Ethos. Sie sprechen da natürlich mein zentrales Problem an, denn mein Interesse galt schon immer der Kunstform Architektur, ihrer Geschichte. Tatsächlich kennen wir nur die Denkmäler, nicht aber die alltägliche Architektur. Die Architekturgeschichte ist also eine Geschichte der Ausnahme-Bauten, nicht aber der Wohnhäuser. Mein Interesse an Wohnhäusern weckte erst die deutsche Architektur der zwanziger Jahre, vor allem die Weissenhofsiedlung in Stuttgart. Deutschland war der Geburtsort der modernen Architektur, dort waren Dinge möglich, die sich nirgendwo sonst realisieren ließen. Dann entdeckte ich Le Corbusiers Bauten, Ouds Arbeiten in Holland, und kam so einer ganzen Bewegung auf die Spur, die ich für so anregend hielt, daß ich sie unbedingt in Amerika bekannt machen wollte.

1932 organisierten Sie und der Architekturhistoriker Henry-Russell Hitchcock im Museum of Modern Art die Ausstellung „The International Style“. Herrschte in der amerikanischen Architektur damals eine Art Isolationismus? Sahen sich die Architekten mit einer ihnen unbekannten Auffassung konfrontiert?

Nein, ein Isolationismus herrschte sicher nicht. Dennoch kannte niemand in den USA eine solche Bauweise. In den USA war eine andere Art moderner Architektur populär. Dementsprechend dauerte es auch eine Weile, bis die Presse von der Ausstellung Notiz nahm. Inzwischen wird sie jedoch als der entscheidende Schritt angesehen, mit dem die Moderne in Amerika durchgesetzt wurde. Im letzten Jahr gab es sogar eine Ausstellung über unsere Ausstellung, zur Feier des 60jährigen Jubiläums. Sie hat einen ähnlichen Status wie die „Armory Show“, die Amerika mit der modernen Kunst konfrontierte.

Sie haben die moderne Architektur nicht nur in den USA populär gemacht, Sie haben nach 1933 ihren Protagonisten, beispielsweise Mies van der Rohe, auch die Einreise in die USA ermöglicht. Er war wahrscheinlich Ihr wichtigster Lehrmeister. Es ist faszinierend, seinen Einfluß auf Ihr berühmtes Glashaus in New Canaan zu betrachten.

Mies inspirierte mich sehr. Er hatte bereits Entwürfe zu einem Glashaus angefertigt, das er jedoch erst sehr viel später realisiert hat, das Haus Farnsworth. Sein Entwurf war besser als meiner. Wir hatten schon lange darüber diskutiert, wie man ein Haus nur aus Glas bauen könnte. Wie sollte man die Innenräume aufteilen? Sollte man die Trennwände bis zur Hauswand ziehen? So etwas hätte sehr ungelenk ausgesehen, deshalb gibt es keine Aufteilungen, weder in meinem, noch in seinem Haus. Es sollte eine gewisse Freizügigkeit herrschen, die Einrichtungsgegenstände besaßen keinen bestimmten Ort. Mein Entwurf war der klassischere von beiden. Er ist symmetrisch, die Türen befinden sich in der Mitte der Wände. Außerdem verankerte ich das Haus mit dem Schornstein, was Mies nie gemacht hätte.

Ihn interessierte vielmehr das Verhältnis der zwei Ebenen zueinander. Ich hingegen wollte mich in meinem eigenen Landhaus nicht vom Erdboden entfernen, ich wollte beim Verlassen des Hauses sofort festen Boden unter den Füßen haben. Unsere beiden Häuser sahen dann auch ganz unterschiedlich aus, seines war weiß, meines war schwarz. Und Mies haßte meinen Entwurf. Meines entsprach eher dem amerikanischen Geschmack. Sein Haus hingegen zeigt, daß er ein ausgeprägteres Gespür für Details besaß. Er verstand das Verhältnis von Glas und Stahl ganz genau, er wußte, wie man eine Ecke gestaltet. Er war ein Genie, ich bin es nicht. Er war ein großer Former, Gestalter, ich bin es nicht.

Ende der Fünfziger arbeiteten Sie beide am Seagram-Gebäude. War das für Sie der Abschied vom Internationalen Stil?

Ich weiß, daß mein Name im Zusammenhang mit diesem Gebäude oft genannt wird, aber tatsächlich hat es Mies alleine gebaut. Ich habe ihm nur ein wenig geholfen, weil er nicht Englisch sprach und New York nicht kannte. Ich habe für ihn, nicht mit ihm gearbeitet, habe sozusagen ihm zu Ehren an dem Haus mitgewirkt. Im Grunde war ich nur für die Inneneinrichtung zuständig.

Das war die Zeit, in der Sie sich daran machten, mit den von Ihnen aufgestellten Prizipien des Internationalen Stil zu brechen. Weshalb haben Sie Ihre Abkehr derart radikal betrieben?

Schwer zu sagen. Es lag in der Luft, auch wenn das nichts beantwortet oder erklärt. Ich begehrte gegen die Gleichförmigkeit dieser schwarzen Kästen auf, gegen deren Stumpfsinn, deren Mangel an gestalterischer Phantasie. Diese Bauten sahen alle gleich aus. Das langweilte mich.

Die Rundbögen des Lincoln Center markierten für Sie dann die endgültige Abkehr von der Moderne?

Ja, der Bau war ein ganz bewußter Versuch, mit dem Stil zu brechen. Ich fragte mich: Warum sollte man den Löffel neu erfinden. Der Löffel wurde im 17. Jahrhundert erfunden und besitzt eine perfekte Form. Wenn man versuchen würde, ihn neu zu erfinden, würde man zur gleichen Form zurückkehren, denn sie paßt ideal zum Mund. Genau das gleiche gilt für ein Opernhaus.

Auch die Opernhäuser gehen auf das Denken des 17. Jahrhunderts zurück. Der Guckkasten ist noch immer die ideale Bauweise für ein Theater. Gropius stimmte dem nicht zu, seine Vorstellung vom Total-Theater sah so aus, daß sich die Bühne unter die Zuschauer mischte. Ein faszinierender Entwurf, noch heute, aber unmöglich zu realisieren. Meine Vorstellung hingegen war, alle Aufmerksamkeit auf die Bühne zu konzentrieren. Daraus ist ein sehr konservativer Bau geworden, bis hin zum Blattgold und dem roten Plüsch der Inneneinrichtung.

Seither sind Sie Eklektiker geworden.

Genau.

Gäbe es für Sie dazu eine Alternative?

Die einzige Alternative wäre eine neue Richtung. Aber heutzutage bauen wir nur Einzelstücke, einmalige Häuser, aus denen sich kein Stil entwickeln kann. Deshalb kann die Architektur der Gegenwart auch nicht das leisten, was der Internationale Stil, die Renaissance, das Barock oder die Gotik vermochten: Ausdruck ihrer zeitgenössischen Kultur zu sein.

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