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Perestroika in Arabien, ja bitte!

Demokratie und Menschenrechte in der arabischen Welt  ■ Von Martina Sabra

Zwei Bücher zum Thema „Demokratie und Menschenrechte in der arabischen Welt“ sind bereits seit gut einem Jahr auf dem Markt, und mir ist schleierhaft, warum sie bisher so wenig Beachtung fanden. „Demokratie und Menschenrechte in Nordafrika“, herausgegeben von Sigrid Faath und Hans-Peter Mattes, ist vor allem als Handbuch und Nachschlagewerk für MenschenrechtsarbeiterInnen, JournalistInnen und anderweitig Interessierte gedacht. Die dokumentierenden Passagen, mit Karikaturen, Interviews und Zeitungsartikeln zum Thema, machen das Buch aber auch für Nicht-Spezies interessant. Worum geht es im einzelnen? Der erste, mehr theoretische Teil behandelt in mehreren voneinander getrennten Kapiteln die folgenden Themen: Demokratie und Menschenrechte im islamischen politischen Denken; die moderne Verfassungsentwicklung in den arabischen Ländern; Menschenrechtsschutz international; Menschenrechtsschutz in den arabischen Staaten.

Besonders gut hat mir der übergreifende Beitrag von Sigrid Faath über Tendenzen der aktuellen Demokratie- und Menschenrechtsdebatte in den arabischen/islamisch geprägten Ländern gefallen. Im zweiten, eher praktischen Teil werden einzelne Länder Nordafrikas vorgestellt, samt Menschenrechts- Organisationen, ordnen diese ideologisch und politisch ein – außerdem sind, wo immer es ging, Kontaktadressen angegeben. Umfangreiche Bibliographien und wichtige Menschenrechtsdokumente im Wortlaut helfen beim Weiterforschen und sind der journalistischen Recherche durchaus dienlich; leider fehlen jedoch Schlagwort- und Namensregister, die das Buch zu einer rundum praktischen Arbeitshilfe machen würden.

Anders als Faath und Mattes hat der amnesty-international- Mitarbeiter Kevin Dwyer an ein Schlagwortverzeichnis gedacht, aber „Arab Voices – The Human Rights Debate in the Middle East“ ist nicht nur in formaler Hinsicht ein tolles Buch. Dwyer hat, wie der Titel des Buches andeutet, arabische „Stimmen“ gesammelt, Debatten verfolgt und nachgezeichnet – in zahlreichen, über Jahre hinweg geführten Gesprächen mit Intellektuellen, Oppositionellen, BürgerrechtlerInnen, JournalistInnen und FrauenrechtlerInnen aus Marokko, Tunesien und Ägypten. Marokko wählte Dwyer wegen seiner wachsenden kulturellen Bedeutung und weil er das Land am besten kannte; Tunesien wegen seiner, wie er meint, „am besten entwickelten und profiliertesten Menschenrechtsorganisation im Nahen Osten“; Ägypten aufgrund seiner vielfältigen politischen Kultur und seiner jahrzehntelangen kulturellen Vorreiterfunktion im arabischen Raum. Das Buch ist nach Ländern und nach Themen geordnet, die Interviews sind als Passagen in längere Essays eingewoben. Dwyers GesprächspartnerInnen sind durchweg prominente und einflußreiche RepräsentantInnen ihrer jeweiligen Strömung: zum Beispiel Nawal El-Saadawi, Fatima Mernissi, Abdallah Laroui, Fahmi Howeidi, Mohammed Ghannoushi, Saad Eddin Ibrahim, Muhammad Amara, um nur einige Namen zu nennen. Ideologisch sind alle Richtungen vertreten: „linke“ und „rechte“ Islamisten ebenso wie Säkularisten unterschiedlicher politischer Couleur.

Dwyer ist sich bewußt, daß er, gerade als US-Amerikaner, für viele seiner arabischen GesprächspartnerInnen den sogenannten „Westen“ repräsentiert, der seit der Kolonialzeit die von ihm selbst propagierten Menschenrechte immer wieder weltweit mit Füßen tritt. Sensibel stellt Dwyer seine Rolle, seine Arbeit und seine eigenen Voraussetzungen permanent in Frage, macht aber gleichzeitig klar, daß er Menschenrechte nicht für relativierbar hält. Darin liegt eine der Stärken des Buches. Deutlich wird auch, daß Menschenrechte nicht abstrakt vom Himmel fallen, sondern in der Regel etwas mit der Lebenswirklichkeit, dem Interesse derjenigen zu tun haben, die ihre Einhaltung fordern. Folgerichtig geht es in den Gesprächen nicht primär um philosophische Fragen, sondern um Alltagsereignisse, um die Suche nach Identität, wirtschaftliche und soziale Entwicklung, den Nord-Süd-Konflikt, Kolonialismus, Geschichte, Kreativität, das Verhältnis der Einzelnen zur Gesellschaft und so weiter.

Aufmerksame LeserInnen werden dabei feststellen, daß der von Experten (Bassam Tibi u.a.) geforderte „kulturelle Aufbruch“ in der arabischen Welt längst begonnen hat, daß innerhalb und zwischen den arabischen Gesellschaften eine soziale Dynamik und Differenzierung im Gange ist, die der „Westen“ in ihrer Kompliziertheit kaum wahrnimmt. Wie diese Interpretationskämpfe in Sachen Menschenrechte sich entwickeln werden, darüber will Kevin Dwyer nicht spekulieren, aber für ihn steht fest: Menschenrechte und Demokratie sind in arabischen Gesellschaften zu einem unverrückbaren Bestandteil des politischen Diskurses geworden.

Sigrid Faath / Hanspeter Mattes: Demokratie und Menschenrechte in Nordafrika, 564 Seiten, edition wuquf, Hamburg 1992, 68 DM.

Kevin Dwyer: Arab Voices – The Human Rights Debate in the Middle East“, 246 Seiten. Routledge, New York, 1991. Beim „Arabischen Buch“ in Berlin ca. 35 DM, ansonsten über den Buchhandel zu beziehen.

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