Recht auf Trägheit und Aufbegehren

■ Die Post investierte 80 Millionen Mark, um mit zynischen Werbespots und infantilen Plakatwänden ihre Kunden auf die Umstellung der Postleitzahlen vorzubereiten

Gleichgültig und leicht genervt schreitet das Jahr voran. Gegen den expandierenden Mißmut werden Daten dekretiert, an denen man sich freuen soll. Am 30. Juni und 1. Juli zum Beispiel. Da kriegt man neue Leidzahlen geschenkt. Das soll dann gefeiert werden in der Einheitsvollzugsanstalt. Vor dem Roten Rathaus zum Beispiel. Jörg Knör (der wegen des doppelten Umlauts wohl dabei ist), Frank Zander, die Blaskapelle „Die lustigen Preußen“, Ronnie Marcus, Hans – die Geige, „Fritz!“ für junge Leute von 5 bis 15 und andere treten an zur Peinsackparade. Ohne Hemd und ohne Höschen, ohne O und ohne W. „Aber die bange Frage ist. Wird das auch funktionieren?“ Denn nicht nur Menschen, sondern „auch Maschinen haben Gefühle. Scheuen sich vor dem Neuen“ (FAZ).

Um den Bundesbürgern jedenfalls die „german Angst“ zu nehmen, hatte die Postanstaltsleitung allein 80 Millionen Mark (mehr, als die Vereinigungsfeiern kosteten) an die Agentur „Leitas“ für deren Postleitzahl-Propagandamaßnahmen gezahlt. Seitdem wird in zynischen Werbespots und auf hunderttausend infantilen Plakatwänden verkündet, daß das Leben mit den neuen Zahlen zumindest nicht viel schlechter werde. In einem besonders gelungenen Spot zum Beispiel wird betont, daß Rechnungen, Mahnungen und Gerichtsbescheide schon einen Tag früher als normal ankommen würden. Offensive Werbung nennt man das. Zumal eine politische Entscheidung, die längst gefallen ist, als flotte Ware angepriesen wird, die man kaufen könnte oder auch nicht.

Der Held der Post-Kampagne heißt übrigens Rolf. „Rolf“ ist eine Art Compilation aus den Langnese-Eissorten „Bananenjoe“, „Flutschfinger“, „Hugo“, dem lustigen Comicpenis, der vor ein paar Jahren im 100,6-Standbildprogramm tolle Abenteuer erlebte, und irgendwelchen Simpsonpüppchen. Rolf vereinigt alle aggressiv- hedonistisch-infantilen Spießereigenschaften des Establishments in sich: „ein bißchen aufmüpfig, schräg“, ein bißchen bescheuert, ein bißchen obszön, so frech wie der neue Polizeiwerberap, so modern wie das schwarze T-Shirt der Firma „Tipo-Shirts“, 90453 Nürnberg, für das die „aufmüpfig- schräge“ Satirezeitschrift Titanic in ihrer aktuellen Ausgabe wirbt. Hinten steht drauf: „Arschlecken“; vorne: „Maul halten“. Dufte! Vor allem: „Fünf zahlt sich aus“. Oder: „Fünf ist Trümpf“. Die Entwicklung des Hauptwerbespruchs hatte das beauftragte Kreativteam ein halbes Jahr intensivster Überlegung gekostet, zumal die Alternative – „Funpf ist Trumpf“ – lange Zeit auch recht gut im Rennen lag. Wer zynisch veranlagt ist, wird's lustig finden, dem Rest laufen Sinnlosigkeitsschauer über den Rücken.

In Berlin wartet man gelassen- genervt auf den Stichtag. Zwar gab es vor zwei Monaten in Kreuzberg eine Demonstration, die eine Ausnahmeregelung fürs ruhm- und traditionsreiche 36 forderte und sich vehement gegen das Kaputtmachen gewachsener Identitäten wehrte; einmal kam auch Dieter Kunzelmann aus Mitte vorbei und erregte sich im „Bierhimmel“ über die zahllosen Mitglieder einiger Postlerdelegationen, die ein Jahr lang die Welt bereisten, um die Postzustellungssysteme vor Ort zu überprüfen – Hunderttausende seien so verschleudert worden –, doch „unsere Menschen hier“ bleiben im allgemeinen ruhig. Denn so richtig und ordentlich ideologisieren läßt sich das Thema ja leider nicht. Der Einwand, die Postleitzahlenreform sei grandios sinnlos, ruft eher ein gleichmütig-genervtes „Na und“ hervor. Natürlich wird man die neuen Zahlen nicht akzeptieren – die „36 Boys“ werden sich kaum in „10969 Boys“ umbenennen, und ob ein Brief nun ein oder zwei Tage braucht, ist den meisten ziemlich egal. Da braucht man gar nicht weiter drüber zu reden. Da weiß man sich auch endlich mal einig mit der älteren Kiezbevölkerung und übrigens auch mit der FAZ, die schlechtgelaunt ein Recht auf „Trägheit und Aufbegehren“ gegen die Umstellung der Postleitzahlen zubilligt.

Doch selbst die, die sich aus welchen Gründen auch immer dem Postleitzahlenschwachsinn beugen müssen, können ihren Spaß dabei haben. Gerade depressive Menschen werden vielleicht neuen Lebensmut schöpfen, wenn sich ihre Adresse ändert, ohne daß sie umziehen müssen. Die anderen ziehen beim Aktualisieren und Ausmisten ihrer Adreßbücher Lebensbilanzen und treffen auf alte Bekannte, die sie zu lange schon nicht mehr sahen. Alte Freundschaften werden erneuert, Feinde werden rausgeschmissen, einige sind allerdings auch schon tot.

Informanten berichten übrigens, daß selbst im Postverteilerdienst noch keiner so genau weiß, wie's „danach“ denn so weitergeht. „Natürlich“ sei das „Schwachsinn“, meint G., ein engagierter Nachtschichtler. „Aber macht ja nichts.“ Zumal die Postleitzahlengegner dafür sorgen werden, daß sich die Zahl der zu vergebenden Nachtschichten sprunghaft erhöhen wird. Detlef Kuhlbrodt