„Es gibt uns noch“

Die Mannschaft aus Bosnien-Herzegowina erreichte wie das deutsche Team die Zwischenrunde der Basketball-Europameisterschaft  ■ Von Matthias Kittmann

Karlsruhe (taz) – „Unsere Heimat besteht aus zwei Reisetaschen.“ Treffender als mit diesen sechs Worten ihres Trainers Ibrahim Krehic kann man wohl kaum die Situation der Basketballer aus Bosnien-Herzegowina beschreiben. Das Team, das am Donnerstag in Karlsruhe bei Punktgleichheit mit Rußland und Schweden, den Einzug in die Zwischenrunde der Europameisterschaft denkbar knapp doch noch schaffte, hat eine zehnwöchige Odyssee hinter sich.

Nur unter dramatischen Umständen konnten sie das eingeschlossene Sarajevo verlassen. „Wir hatten nur zwei Minuten Zeit, um am Flughafen einen 500 Meter langen Korridor zu überwinden. Rechts ein Zaun, links die UN-Blauhelme und vor uns das Tschetnikfeuer – so machten wir uns auf den Weg“, berichtet der Coach und greift sich Zettel und Stift, um die Situation zu illustrieren. Unversehrt in sicherem Gebiet angekommen, mußten sie noch eine fünftägige Autofahrt nach Zagreb hinter sich bringen.

Ziel war das Qualifikationsturnier im polnischen Wroclaw. Ein sportlich nahezu aussichtsloses Unterfangen. Sieben der zehn Spieler hatten seit Monaten keinen Basketball in Händen, stattdessen verteidigten sie als Freiwillige ihre Stadt. Lediglich Mario Primorac, Emir Mutapcic (beide Alba Berlin) und Sabahudin Bilalovic (Nahariya/Israel) verfügten über ausreichend Spielpraxis. So grenzte es schon an ein kleines Wunder, daß sich die Mannschaft mit nur zwei Niederlagen für die EM in Deutschland qualifizierte. Um dann überhaupt anreisen zu können, mußten Freunde aus dem Ausland mit Spenden eingreifen. Den Rest verdiente sich das Team mit Freundschafts- und Benefizspielen in ganz Europa. Natürlich war den Spielern klar, daß sie sich kaum für die Endrunde in München werden qualifizieren können, „aber das ist nicht so wichtig. Wir wollen zeigen, daß es uns noch gibt. In unserer Mannschaft spielen Bosnier, Muslime und Kroaten, der Manager ist Serbe. Die Leute sollen sehen, daß so ein Zusammenleben funktionieren kann.“

Nach der EM werden sich allerdings ihre Wege trennen. „Sarajevo ist eine Stadt ohne Wiederkehr.“ Viele wollen bei europäischen Vereinen unterkommen. Den 2,04 Meter großen Samir Avdic haben schon die Spione der amerikanischen Profiliga NBA im Visier. Coach Krehic, dessen Familie in Sarajevo zurückgeblieben ist, hofft auf seinen Freund Svetislav Pesic, Trainer der deutschen Mannschaft. „Ich würde gerne für eine Weile in Deutschland arbeiten. Vielleicht kann er mir ein bißchen helfen.“ Krehic gehörte immerhin zum Trainerstab des Europameisters von 1991, Jugoslawien.

Trotz der Sorge um seine Angehörigen denkt der „Basketballbesessene“ schon wieder an die Zukunft seines Sports in der Heimat: „Wir haben viele exzellente Juniorenspieler, die derzeit in Kroatien trainieren. Wenn das Morden bei uns mal ein Ende hat, möchte ich bei der nächsten Europameisterschaft die Schlagzeile lesen: ,Bosnien-Herzegowina ist Titel-Favorit!‘.“ Ein solcher hat sich bei dieser EM noch nicht herauskristalliert. Zwar blieb Kroatien in der Vorrunde ungeschlagen und griff beim 113:63 gegen die Türkei sogar gelegentlich in die Basketball- Trickkiste, doch daß das Team ohne den tödlich verunglückten Petrovic und den verletzten Kukoc zu schlagen ist, bewiesen die Franzosen, die den Kroaten immerhin eine Verlängerung abrangen.

Mit von der Partie sind auch wieder die Deutschen, die in einem lange zerfahrenen, abwehrbetonten Match schließlich souverän mit 79:57 gegen Slowenien triumphierten und in die Zwischenrunde einzogen, wo sie es mit Frankreich, Kroatien und der Türkei zu tun bekommen. Den Grundstein für den Erfolg legte Michael Koch, der mit seiner aufmerksamen Abwehrarbeit Sloweniens Star Jurij Zdovc zur Verzweiflung trieb. Der als bester Spielmacher Europas gepriesene Zdovc wagte nur sieben Würfe, die allesamt danebengingen, vier Punkte von der Freiwurflinie waren seine ganze Ausbeute. Als den Slowenen in den letzten zehn Minuten die Luft ausging und sich ihre Fouls und Fehlwürfe häuften, trumpften die Deutschen, allen voran Henning Harnisch, plötzlich groß auf und rissen das bis dahin reservierte Publikum doch noch zu Ovationen hin. Harnisch und Michael Jackel waren mit je 19 Punkten die erfolgreichsten Werfer im deutschen Team, das nun wieder auf den begehrten fünften Platz oder sogar mehr hoffen darf.

Gruppe B: Kroatien - Türkei 113:63, Frankreich - Bulgarien 91:74, Tabelle: 1. Kroatien 317:241/ 6:0, 2. Frankreich 255:229/ 4:2, 3. Türkei 196:252/ 2:4, 4. Bulgarien 227:273/ 0:6

Gruppe C: Italien - Griechenland 73:88, Lettland - Israel 101:84, Tabelle: 1. Griechenland 243:214/ 4:2, 2. Lettland 243:244/ 4:2, 3. Italien 244:251/ 2:4, 4. Israel 246:267/ 2:4

Gruppe D: Estland - Belgien 79:78, Slowenien - Deutschland 57:79, Tabelle: 1. Estland 255:261/ 4:2, 2. Deutschland 275:234/ 4:2, 3. Belgien 224:233/ 2:4, 4. Slowenien 198:224/ 2:4

Gruppe A: Spanien - Rußland 86:75, Bosnien- Herzegowina - Schweden 89:69, Tabelle: 1. Spanien 254:213/ 6:0, 2. Rußland 266:263/ 2:4, 3. Bosnien-Herzegowina 255:264/ 2:4, 4. Schweden 218:253/ 2:4