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Irland auf dem Weg ins 20. Jahrhundert

■ Homosexualität nicht mehr illegal / 1994 kommen Ehescheidungen dran

Dublin (taz) – Am Donnerstag abend knallten vor dem irischen Parlament in Dublins Kildare Street die Sektkorken: Lesben- und Schwulenorganisationen feierten die Tatsache, daß Homosexualität künftig nicht mehr bestraft werden kann. Das Parlament hatte soeben ein entsprechendes Gesetz aus dem Jahr 1861 aufgehoben – ohne Debatte und ohne Abstimmung. Darauf hatte sich die Regierung mit den Vorständen der Opposition geeinigt, um peinliche Auftritte von schwulenfeindlichen Hinterbänklern, die es in fast allen Parteien gibt, zu vermeiden.

Gleichzeitig verabschiedete die Regierung ein Gesetz, wonach Prostitution unter Strafe gestellt wird. Der Abstimmung gingen hitzige Debatten voraus. Der Oppositionsabgeordnete Austin Deasy verlangte die Legalisierung, weil „wir doch keine Mitglieder dieses Hauses aus Freudenhäusern kommen sehen wollen, wenn das illegal ist“. Das Kabinett heizte die Diskussionen durch Zwischenbemerkungen noch an, damit für die Debatte um Homosexualität danach keine Zeit mehr bleiben würde. Diese Taktik ging auf.

Einige Abgeordnete versuchten zwar, das Mindestalter für Homosexualität von 17 auf 18 Jahre zu erhöhen, doch Justizministerin Maire Geoghegan-Quinn setzte sich mit ihrer Ansicht durch, daß Homosexuelle und Heterosexuelle vor dem Gesetz gleichgestellt werden sollen. Der Senator und Joyce- Experte David Norris sagte gestern erleichtert: „Es ist das erste Mal, daß ich mich in meinem Land als vollwertiger Bürger fühle.“ Norris und seine Anwältin Mary Robinson, inzwischen Präsidentin Irlands, hatten die irische Regierung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verklagt und 1988 recht bekommen. Dennoch brauchte die irische Regierung fünf Jahre, um die im Urteil verlangten Gesetzesänderungen vorzunehmen. „Wir haben mit diesem Gesetz wirklich gute Arbeit geleistet“, sagte Norris. „Wir sind Großbritannien um Lichtjahre voraus.“ In Großbritannien und Nordirland ist Homosexualität erst ab 21 Jahren straffrei.

Die Legalisierung der Homosexualität ist Teil eines Pakets von Sozialreformen, das die Regierungskoalition aus Fianna-Fail- Partei und Labour bei ihrem Amtsantritt im Januar versprochen hatte. So hat im vergangenen Monat das Parlament den Weg für Verhütungsmittel geebnet. Seitdem schießen die Kondomautomaten in Kneipen und öffentlichen Toiletten wie Pilze aus dem Boden. Im nächsten Jahr sollen Ehescheidungen legalisiert werden.

Am meisten Kopfschmerzen bereitet der Regierung jedoch die Abtreibungsfrage. Nachdem der Oberste Gerichtshof vor einem Jahr entschied, daß eine Abtreibung bei Lebensgefahr der Schwangeren zulässig sei, müssen die Abgeordneten nun entsprechende Gesetze schaffen. Möglicherweise gelingt Irland noch der Sprung ins 20. Jahrhundert, bevor das Jahrhundert abläuft. RaSo

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