: Einigkeit von Schmidt bis Wieczorek-Zeul
■ Sonderparteitag der SPD in Essen: Das Ende der Grabenkämpfe? / Auf neue politische Aussagen des Vorsitzenden Scharping wartete man vergebens
Essen (taz) – Heidi Wieczorek- Zeul gratuliert nach der Rede des Neuen freundlich und gelöst, Gerhard Schröder etwas angestrengt. Oskar Lafontaine schließlich, der dritte, der sich nach dem Rücktritt Björn Engholms für ein Amt ganz an der Spitze gemeldet hatte, steht für seinen Glückwunsch erst auf, als das Wahlergebnis verkündet ist. Rudolf Scharping ist neuer SPD-Vorsitzender, gewählt von 362 der 461 Delegierten (knapp 80 Prozent).
Doch interner Streit, die offenen und heimlichen Grabenkämpfe, sind mit diesem Sonderparteitag wohl zu den Akten gelegt worden. Auf ihrem Sonderparteitag in Essen entdeckt die SPD, die in den beiden letzten Jahren vor allem durch widerstreitende Meinungen von sich Reden machte, den Wert einer ganz alten Tugend, den der Einigkeit.
Um „Vertrauen“ hatte Rudolf Scharping am Ende seiner Rede gebeten. Der Auftritt des Parteivorsitzenden war – abgesehen vom Wahlergebnis selbst – das einzige Ereignis der eintägigen Veranstaltung in der Essener GRUGA- Halle, das mit gemäßigter Spannung erwartet wurde. Zuvor hatten die Delegierten einige Anträge abgespult, zu Ausländerfeindlichkeit und Gewalt, zur Pflegeversicherung, zum 218-Urteil. Ansonsten werden Programmfragen und Wahlaussagen, soviel stand vorher auch schon fest, erst auf dem regulären Parteitag im November ihren Platz haben.
„Mir geht es heute um einige Leitlinien“, dämpfte Scharping falsche Erwartungen an seine Rede und verwies auf den Parteitag in Wiesbaden. Tatsächlich gab er in Essen nicht mehr zu erkennen, als in seinem kurzen Wahlkampf um die Gunst der Mitglieder bereits klargeworden war. Auf die Mitgliedschaft, die ihn am 13. Juni mit deutlichem Vorsprung vor Gerhard Schröder und Heidi Wieczorek-Zeul auf den ersten Platz gesetzt hatte, berief sich Scharping gleich zu Beginn.
Die Vorgabe der Mitglieder laute: „Kümmert euch uneingeschränkt um die Aufgaben, für die ihr da seid. Macht sozialdemokratische Politik erfahrbar und glaubwürdig. Setzt Kohl und seiner verbrauchten Truppe eine wirkungsvolle Alternative entgegen. Zerredet unsere gemeinsame Politik nicht.“ Sätze wie den letzten, die unfehlbar den Beifall des Parteitags fanden, hatte Scharping wie rote Fäden in seine über einstündige Rede eingewebt.
„Gedanken und Überlegungen, die Schärfe des Arguments, das muß zuerst in wichtigen politischen Fragen und dem politischen Kontrahenten gelten, das darf sich nicht in innerparteilichen Debatten erschöpfen. Ich weiß, daß Mehrheiten in der SPD wichtig sind, aber Mehrheiten in der Gesellschaft sind entscheidend.“ Mit solchen Aussagen trifft der neue Vorsitzende die Wünsche seiner Partei, aber so wenig wie politische Aussagen in Essen überraschten, sowenig überraschte auch, daß zwischen dem neuen Vorsitzenden und den Delegierten Schwung oder Begeisterung ganz und gar nicht entstehen wollten.
Scharping blieb in seinem gleichbleibenden langsamen Tempo. Gestik und Mimik waren bemessen wie die gelegentlichen Differenzierungen zwischen laut und leise. Pflichtgemäß klatscht der Parteitag, wenn der Chef der Bundestagsfraktion erwartungsgemäß rät, dem Somalia-Einsatz nicht zuzustimmen, bei der Pflege die Koalition anprangert, zum Engagement für die „soziale Demokratie“ aufruft.
„Inzwischen sind meine Kräfte doch etwas geschrumpft, aber ich werde Rudolf Scharping auch 1994 im Wahlkampf unterstützen.“ Helmut Schmidt, der sich in den letzten Jahren in gebührendem Abstand zu seiner Partei gehalten hat, tritt nach der Wahl in Essen auf. „Weil es hart werden wird ...“, begründet er den Delegierten, warum es auf Einigkeit mehr als jemals in den letzten Jahren ankommen wird.
Es herrscht Übereinstimmung zwischen denen im Saal und dem Ex-Kanzler. Tissy Bruns
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen