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Der nächste Kanzler ist ein Pfälzer

■ Parteitag in Essen: Magerstes Ergebnis für einen SPD-Chef in der Nachkriegszeit

Essen (AFP/dpa/taz) – Ein vergleichsweise sehr mageres Ergebnis fuhr gestern der neue SPD-Bundesvorsitzende Rudolf Scharping beim Sonderparteitag seiner Partei in Essen ein. Nur 79,4 Prozent der Delegierten gaben dem rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten ihre Stimme. 54 VertreterInnen votierten gegen ihn, 40 enthielten sich und fünf protestierten auf ihre Weise durch Abgabe eines ungültigen Wahlzettels. Noch kein SPD-Chef der Nachkriegszeit hatte bisher ein so schlechtes Ergebnis erzielt. Scharpings Vorgänger Björn Engholm war mit einem Fast-SED- Ergebnis von 97,4 Prozent ins Amt gesetzt worden.

In einer Grundsatzrede vor seiner Wahl hatte der 45jährige Mainzer Regierungschef die Partei zur Harmonie aufgerufen. „Zerredet unsere gemeinsame Politik nicht täglich“, appellierte er an die GenossInnen. Scharping kritisierte in seiner Rede, die SPD habe bisher zu sehr darauf vertraut, daß sich ihre Politik über parteiinterne Debatten vermitteln lasse. Sie könne das Vertrauen der Bürger aber nur gewinnen, wenn sie klare Alternativen biete. „Schiebt beiseite, worüber die Meinungen auseinandergegangen sind. Rückt ins Zentrum, was ins Zentrum gehört“, proklamierte er. Und inhaltsschwanger fuhr er fort, die SPD-Mitglieder sollten Ziele und Grundwerte der Partei im Alltag verdeutlichen. „Macht sozialdemokratische Politik erfahrbar und glaubwürdig.“ Auftrag der Partei sei es, Hüterin der Demokratie, Garantin des wirtschaftlichen und ökologischen Fortschrittes und des Sozialstaates zu sein. „Als bloße Partei des Verteilens haben wir keine Zukunft.“ Der Sonderparteitag beauftragte den Parteivorstand, bis zum nächsten Parteitag Mitte November in Wiesbaden Vorschläge zu erarbeiten, wie Mitgliederbefragungen, Mitgliederbegehren und Mitgliederentscheide in die Statuten aufgenommen werden sollen. Außerdem verabschiedeten die Delegierten eine „Essener Erklärung“, in der sie bessere Möglichkeiten zur Erlangung der doppelten Staatsbürgerschaft und die Einführung des kommunalen Wahlrechts fordern.

Offiziell soll der Kanzlerkandidat der SPD zwar erst auf einem Wahlparteitag Anfang nächsten Jahres bestimmt werden. Aber Scharping hat bereits seinen Anspruch angemeldet, als Herausforderer von Kanzler Helmut Kohl (CDU) anzutreten. Sollte Scharping nicht ein ähnliches Schicksal ereilen wie Björn Engholm, dürfte dem nichts mehr im Wege stehen, denn sowohl der niedersächsische Ministerpräsident Gerhard Schröder als auch sein Amtskollege aus Saarbrücken, Oskar Lafontaine, haben inzwischen abgewunken. In einem taz-interview sagte der saarländische Ministerpräsident, daß das Thema nach drei Gesprächen mit Scharping für ihn erledigt sei. Thematisch müsse an die Diskussion der 80er Jahre angeknüpft werden. „Die Reformdebatte von damals wird die Grundlage jeder Politik sein, die überhaupt noch auf Erfolg hoffen kann.“ Gerade in Anbetracht von Massenarbeitslosigkeit und Staatsverschuldung sei es hochmodern, über Arbeitszeitverkürzung und ökologische Modernisierung nachzudenken. Seiten 2 und 10

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