: Tapie und das „Lynchgericht“
Korruptionsskandal in Frankreich: Olympique Marseille soll Spieler aus Valenciennes bestochen haben / Tapie streitet alles ab ■ Aus Paris Bettina Kaps
Christophe Robert, Spieler des französischen Fußballclubs Valenciennes, hat zugegeben, daß er 75.000 Mark eingesteckt hat, um beim letzten Spiel gegen Olympique Marseille vor dem Europacup- Finale lediglich „den Fuß zu heben“. Das Geld wurde im Garten von Verwandten gefunden. Robert ist inzwischen wegen Korruption angeklagt. Der Bestechungsversuch soll vom OM-Spieler Jean- Jacques Eydelie ausgegangen sein. Eydelie, der alle Vorwürfe abstritt, begab sich am Freitag freiwillig vor Gericht und wurde in Polizeihaft genommen, die gestern noch um einen Tag verlängert wurde.
Die Geschichte erschien zuerst völlig unglaubwürdig: Olympique Marseille, Prunkstück unter den französischen Fußballclubs, soll Spieler des vom Abstieg bedrohten Clubs aus Valenciennes bestochen haben, damit sie beim letzten Spiel vor dem Finale des Europacups „nicht zu stark spielen“. Obwohl Olympique praktisch schon als Meister feststand – es fehlte maximal ein Punkt aus zwei Spielen –, wollte die Mannschaft das Spiel unbedingt gewinnen, um das Finale gegen den AC Mailand in München entspannt angehen zu können. Alles lief wie geplant: Marseille besiegte Valenciennes mit 1:0, sechs Tage später errang der Club in München den Europacup. Frankreich jubelte über den „historischen Sieg“, Marseille tanzte die ganze Nacht: es war das erste Mal, daß ein französischer Club einen Europapokal gewonnen hatte. OM-Präsident Bernard Tapie, der seine politischen Ambitionen durch den für Marseille so wichtigen Club fördern will, sah sich dem Bürgermeistersessel einen Riesenschritt näher. Valenciennes aber stieg ab.
In der Euphorie wurde der üble Bestechungsverdacht verdrängt. Vom Verteidiger aus Valenciennes, Jacques Glassmann, der seinen Clubvorstand noch vor dem Spiel vom 20. Mai über einen Erpressungsversuch informiert hatte, hieß es, er phantasiere und neide OM den Erfolg. Glassmann hatte erklärt, OM-Spieler Jean-Jacques Eydelie habe ihm telefonisch 60.000 Mark und einen Wechsel zum Club Martigues angeboten, wenn er sich zurückhalte. Eydelie habe an ihre Freundschaft appelliert und ans Geschäft. Anschließend habe sich Jean-Pierre Bernès am Telefon gemeldet – der Generaldirektor von Olympique Marseille und engster Mitarbeiter von Tapie. Zwei andere Spieler, Christophe Robert und Jorge Burruchaga, seien auch bei dem Gespräch dabeigewesen. Die beiden stritten das zunächst ab. OM sprach vom Komplott, Generaldirektor Bernès klagte wegen Verleumdung. Robert hatte das umstrittene Spiel in der 23. Minute mit einer Knieverletzung verlassen; er ließ sich – gegen den Rat des Clubarztes – sogar einen Gips legen.
Die Affäre hätte damit auf Glassmanns Rücken beerdigt werden können, doch der Präsident der französischen Nationalliga, Noäl Le Graät, blieb, durch etliche Affären der Vergangenheit gewarnt, mißtrauisch. Um Klarheit zu schaffen, erhob er Klage gegen Unbekannt. In den Verhören gab Robert zu, daß ihm ebenfalls Geld angeboten worden war, und räumte inzwischen auch noch ein, daß seine Frau das Geld am Spieltag im Hotel der OM-Mannschaft abgeholt hat. Burruchaga konnte noch nicht verhört werden, weil er in Argentinien Urlaub macht. In einem Gespräch mit der Wochenzeitung France Football vom 8. Juni sagte er jedoch: „Sie haben noch gar nichts gesehen, das fängt gerade erst an. Und es wird über den Fall Glassmann oder Burruchaga weit hinaus gehen. Ich wußte, daß das ausarten würde, deshalb wollte ich auch nichts sagen.“
Unterdessen verteidigt sich OM-Präsident Tapie mit Klauen und Zähnen: Nachdem er, wie Le Monde berichtet, vergeblich versucht hatte, dem Staatsanwalt zu „raten“, wie er die Affäre anfassen solle, versuchte er, Valenciennes ins Zwielicht zu ziehen: „Wem nützt das Ganze? Valenciennes verlangt heute, daß das Resultat umgedreht wird. Wenn ich verliere, ist das nicht schlimm, aber wenn sie gewinnen, dann erspart ihnen das den Abstieg“, sagte er im Interview gegenüber Libération. Der Europacup-Sieg seiner Mannschaft, beteuerte Tapie, werde trotz des „Lynchgerichts“ von niemandem in Frage gestellt.
Der Verdacht liegt jedoch immer schwerer auf Olympique Marseille und somit auch auf dem Präsidenten. Robert und Eydelie – sollte er überführt werden – müssen damit rechnen, auf Lebenszeit gesperrt zu werden. OM-Generaldirektor Bernès konnte noch nicht verhört werden, denn er befindet sich seit Bekanntwerden der Affäre wegen „Depressionen“ und Herzproblemen im Krankenhaus. Bernès kennt die Polizeiwache von früher: Im November 1990 wurde er wegen finanzieller Machenschaften seines Clubs vernommen.
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