piwik no script img

Gegen die sexuelle Selbstbestimmung

In Bremen diskutierten KriminologInnen und StrafrechtlerInnen Reformansätze im Sexualstrafrecht / Sexuelle Gewalt in der Ehe bleibt auch in Zukunft straflos  ■ Aus Bremen Karin Flothmann

Im Paragraphendschungel des Strafrechts klingt jeder Gesetzestext höchst durchdacht. Gleichzeitig ist nahezu allen KriminologInnen nur allzu klar, wie inkonsequent ein Werk wie das deutsche Strafgesetzbuch (StGB) in sich ist. Auch im Sexualstrafrecht, das seit der Strafrechtsreform von 1974 „Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung“ ahndet, wimmelt es von Widersprüchlichkeiten. Um diese aufzudecken, trafen sich am Wochenende StrafrechtlerInnen und KriminologInnen zum sechsten Symposion der wissenschaftlichen Einheit Kriminalpolitikforschung an der Bremer Universität, das unter dem Titel „Zur Reform des Sexualstrafrechts“ firmierte.

Reformen bewirkten zwar, daß sich die Rechtssprechung der gesellschaftlichen Realität annähert, haben aber auch im Sexualstrafrecht zur Folge, daß plötzlich etwas geschützt wird, was an anderer Stelle verboten ist. Die 1992 reformierten Paragraphen 180 und 181 StGB, die auf eine adäquatere Strafverfolgung des internationalen Frauenhandels abzielen, muten, so die Bremer Strafrechtsprofessorin Ursula Nelles, „im gegenwärtigen Strafsystem schon merkwürdig an“, da sie Prostitution schützen, „wo sie an anderer Stelle im Gesetz verboten ist“. So untersagt § 184a StGB die Ausübung von Prostitution, um „Erwachsene vor schwerwiegenden Belästigungen zu schützen.“ Nach Ansicht von Kirsten Graalmann-Scheerer, Oberstaatsanwältin bei der Generalstaaltsanwaltschaft Bremen, reiche es schon aus, „wenn der Täter“, in diesem Fall die Hure, „in unauffälliger Weise auf und ab geht und sexuelle Handlungen anbietet“. Ein Freier, der mit seinem Auto in auffälliger Weise den Straßenstrich auf und ab fährt und die Bevölkerung mit gierigem Blick belästigen könnte, kommt hingegen ungeschoren davon. Daß zur Durchführung sexueller Handlungen in der Regel zwei gehören, ist dem Gesetzgeber egal. Laut Graalmann-Scheerer reicht kein einziger Strafparagraph aus, um einen Freier als „notwendigen Teilnehmer“ und damit Mittäter der Prostitution zu belangen. Gleichzeitig ermögliche die Gesetzgebung hingegen die „lückenlose Verfolgung“ Prostituierter. Cora Malloy von der Frankfurter Selbsthilfegruppe „Huren wehren sich gemeinsam“ ging es um ganz pragmatische Verbesserungen der eigenen Arbeitsbedingungen. Abhängige und damit sozialversicherte Arbeitsverhältnisse sind untersagt. Zur Durchsetzung ihrer Interessen gründeten die Frankfurterinnen im März die erste deutsche Hurengenossenschaft.

Seit der Reform von 1974 veränderten sich die Strafparagraphen 174 bis 184 nur schrittweise. Und das, obwohl Feministinnen seit Mitte der 70er Jahre das geltende Sexualstrafrecht als unzureichend kritisieren. Eine Gesamtreform, so Renate Augstein vom Bundesministerium für Frauen, „steht derzeit nicht an.“ Kleine Schritte müssen genügen. Erst kürzlich wurde die Gesetzgebung gegen Kinderpornographie verschärft. Passiert die Neuregelung demnächst den Bundesrat, dann stehen nicht nur Herstellung und Verbreitung, sondern schon der bloße Besitz von Kinderpornos unter Strafe. Deutsche Touristen machen sich künftig strafbar, wenn sie im Ausland Kinder sexuell ausbeuten. Außerdem soll die Verjährungsfrist beim sexuellen Mißbrauch verlängert werden. Langfristig steht die Streichung des § 175 an, der Homosexuelle in Westdeutschland immer noch massiv diskriminiert.

Daß auch die Vergewaltigung in der Ehe künftig strafbar wird, hielt Renate Augstein aufgrund der herrschenden Mehrheitsverhältnisse im Parlament für unwahrscheinlich. Auch hier erweist sich das Strafrechtssystem als unlogisch und inkonsistent. Denn warum macht das Recht auf sexuelle Autonomie, um das es ja ausdrücklich im StGB geht, ausgerechnet vor der Ehefrau halt? Renate Augstein wußte in Bremen die Antwort: „Die Ängste gehen da quer durch alle Fraktionen. So mancher Abgeordnete fragt sich, was er denn machen soll, wenn die eigene Ehefrau im Bett nicht mehr will?“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen