: Immigrant zieht in Hamburgs Parlament
SPD nominiert den türkischen Einwanderer Hakki Keskin auf einem sicheren Listenplatz / „Für einen Vorzeigetürken bin ich der Falsche“ / SPD fürchtet Wählerverluste ■ Aus Hamburg Florian Marten
Im September 1993 wird erstmals ein „Deutschtürke“ in ein bundesrepublikanisches Landesparlament einziehen. Am späten Sonntag abend setzten die Hamburger Sozialdemokraten den 50jährigen Hochschullehrer Hakki Keskin auf den sicheren Platz 50 der Landesliste für die Bürgerschaftswahlen am 19. September. Rote Rosen vom SPD-Spitzenkandidaten und amtierenden Bürgermeister Henning Voscherau und begeisterter Beifall der Delegierten im schmucklosen Klinker des postmodernen „Bürgerhauses Wilhelmsburg“ begleiteten diesen „historischen und mutigen Schritt“, so SPD-Landeschef Helmuth Frahm. Hakki Keskin, türkischer Sozialdemokrat, seit 1975 Mitglied der SPD und seit Februar 1993 im Besitz eines Bundespersonalausweises, versprach denn auch gleich: „Ich möchte versuchen, als eine Art Brücke zwischen den Kulturen und zwischen der Bürgerschaft und den Einwanderern zu fungieren. Für einen Vorzeigetürken oder -ausländer bin ich der falsche Mann. Ich bin überzeugt, daß die SPD mit dieser Kandidatur inhaltlich etwas bewegen will.“
Im Vorfeld von Keskins Nominierung gab es innerhalb der SPD- Funktionärsriegen allerdings heftige Auseinandersetzungen. Eine starke Minderheit glaubt gar immer noch: „Jetzt haben wir die Wahl verloren!“ Ein Türke auf der Liste, so das Argument der Bedenkenträger, werde der rechtslastigen Stammwählerschaft in den Neubaughettos signalisieren, daß sie lieber gleich Rechtsaußen wählen sollen. Für die SPD, die ihren Wahlkampf ganz gezielt auf ihre rechtsanfällige Arbeiterklientel ausrichtet, ist das ein schwerwiegendes Argument. Längst steht für die SPD-Analytiker außer Frage, daß der rassistische Krebs in ihrer traditionellen Klientel wuchert. 30 Prozent der Rep-Wähler in Baden- Württemberg, so eine Untersuchung, haben das Mitgliedsbuch einer DGB-Gewerkschaft in der Tasche. „Und das“, so warnte der frühere SPD-Sozialsenator Jan Ehlers, „ist nicht das Lumpenproletariat, sondern die organisierte Arbeitnehmerschaft.“
Selbst Stadtchef Henning Voscherau glaubt, die Nominierung Keskin werde rechts mehr Stimmen kosten als sie vielleicht links bringt. Voscherau warf dennoch sein persönliches Gewicht in die Waagschale, um Keskin innerparteilich durchzuboxen. Hamburgs liberaler weltoffener Ruf soll ausländischem Kapital und Handelspartnern, von dem Hamburg wie keine andere Stadt abhängig ist, so tatkräftig demonstriert werden.
Unruhe löste Keskins Nominierung freilich auch in Teilen der Hamburger Immigrantenszene aus. Keskin ist innerhalb der komplexen politischen Gemengelage türkischer und kurdischer HamburgerInnen durchaus umstritten. Insbesondere Kurden werfen ihm vor, großtürkische Positionen zu vertreten, den Krieg gegen Kurden zu dulden. Keskin konterte: „Deutschland ist meine neue Heimat.“ Er sei nicht für türkische Innenpolitik, sondern für deutsche Landespolitik nominiert.
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