: Nie nackt
Wenn es eine Ästhetik des Pornofilms gibt, dann ist sie das Gegenteil von FKK. Annäherung an ein vielgesehenes Genre ■ Von Ina Hartwig
Sie kennen diese gleichförmige, elektronische, mit maschinell erzeugten Rhythmen unterlegte Musik aus Ihrem Supermarkt. Aber wissen Sie, daß dieselbe Musik auch in Pornofilmen zu hören ist? Sobald der Sex losgeht, setzt sie ein. (Nur im Schwulenporno wird Jazzmusik gespielt.) Eingeweihte wissen dann, daß ab sofort alles seinen Gang geht bis zum Ende der pornographischen Sequenz. Das ist eine der vielen Regeln der insgesamt dreizehn Pornofilme, die für die folgende Bestandsaufnahme aus einer Berliner Videothek entliehen wurden. Kriterium der Auswahl: „Normalität“, das also, was jedem über achtzehn legal zugänglich ist.
So sieht eine pornographische Sequenz mit minimaler Besetzung und den üblichen Basispraktiken aus: Ein Mann und eine Frau begegnen sich (1). Sie einigen sich darauf, daß er sie „ficken“ wird (2). Er holt seinen Penis aus der Hose (Musik beginnt), sie nimmt den Penis in den Mund, knetet ihn mit der Hand, reibt ihn schließlich hektisch, wobei nicht selten grob an der Vorhaut gerüttelt und gezerrt wird (3). Das Paar entkleidet sich. Sie legt sich aufs Bett. Er leckt ihre Schamlippen und Klitoris (4). Dann penetriert er sie vaginal in verschiedenen, stets abrupt gewechselten Positionen (5): kniend, stehend, liegend, von hinten, von vorne, sie auf ihm hüpfend zu seinem Gesicht gewendet oder ihm den Rücken zeigend, als säße sie auf einem Stuhl. Zwischendurch lecken sich beide nochmals an den Geschlechtsteilen. Zum krönenden Abschluß – das ist mehr als eine Regel, es ist Gesetz – läßt der Mann seinen Samen auf Hintern, Schamhaar, Bauch, Brüste oder ins Gesicht der Frau träufeln (6). Meistens nimmt die Frau danach den Penis noch einmal in den Mund (7). Eine Sequenz dauert sieben bis zehn Minuten.
Serienporno, Spielfilmporno und privatistischer Laienporno – das sind die drei Formen des pornographischen Films, die in der getroffenen Auswahl auszumachen waren. Bei den ersten beiden handelt es sich um rein professionelle Produkte. Das dritte muß wohl als Mischform bezeichnet werden. Der privatistische Porno wird von Profis gemacht, arbeitet aber laut Ankündigung mit „echten Laiendarstellern“, und: er bricht mit den Regeln des Profipornos. Diese Pornos, heißt es von seiten der Videothek, seien augenblicklich „der Renner“.
Zunächst zu den Profiprodukten: Der Serienporno führt unterschiedliche Paare oder Gruppen entweder sukzessiv vor oder, nach dem Prinzip des Fernsehprogramm-Switchens, simultan miteinander verschaltet. Bei 90 Filmminuten macht das ungefähr 10 pornographische Sequenzen. Auf eine gering niedrigere Zahl kommen die Spielfilme, die, im Gegensatz zum ganz ohne Motivation arbeitenden Serienporno, einen Handlungs- und damit Motivationsrahmen schaffen. Der allerdings darf auf keinen Fall mit Psychologie verwechselt werden. Psychologie gibt es im normalen Profiporno nicht. Beispiel: In der Praxis von Frau Dr. „Müller-Schamhaft“ treffen sich Leute mit sexuellen Problemen, darunter das Ehepaar „Rammler“, das es zwanghaft unausgesetzt tun muß und bereits im blankgeputzten Treppenhaus die erste pornographische Sequenz absolviert hat, auf eine gern zum Koitus bereite Ärztin, die dann noch Unterstützung von ihrem Vertretungsarzt Dr. „Sigismund Freude“ erhält, was – unter Einbeziehung von Putzfrau, Arzthelferin und eines weiteren Patienten – in schneller Abfolge allerhand Paar- und Gruppenkombinationen ermöglicht. Letzter Satz: „Wie wär's mit einer Gemeinschaftspraxis?!“
Nicht jeder Pornoproduzent geht, was die Vorführung von Sexualpraktiken angeht, so streng (und kalt) vor wie die erfolgreiche Hannoveraner Produzentin Theresa Orlowski. Es mag Zufall sein, aber auffällig ist es schon, daß nach der guten alten Beate Uhse wieder eine Frau in Norddeutschland so marktsicher Pornos herstellt. Jeder Film aus der Orlowski-Firma präsentiert die soeben genannten Praktiken; wer jedoch eine anale Penetration, Sex mit Teenagern oder Sex mit Schwarzen sehen will, muß bei ihr draufzahlen, konkret: statt zwei vier Mark Leihgebühr pro Tag.
Das, wie gesagt, gilt nicht für jeden Verleih. In Produkten der Firma „Tabu-Video“ beispielsweise werden vaginale und anale Penetrationen gleichberechtigt behandelt und folglich preislich nicht unterschieden. Doch ist damit allein die anale Penetration einer Frau gemeint. Lediglich in Pornos, die sich an bisexuelle oder schwule Phantasien richten, wird die Penetration auch eines Mannes gezeigt. Ein sogenanntes Sandwich konnte ich nur in dem Film „Bi über alle Maßen“ sehen: ein Mann penetriert einen Mann, der wiederum eine Frau penetriert. Das besondere Interesse der Kamera, die mit unbegreiflichem Geschick direkt unter dem Geschehen plaziert ist, gilt dem Mittleren.
Die Fokussierung auf verschiedene sexuelle Identitäten („normal hetero“, „hetero plus anal“, „bi“, „homo“) bringt auch jeweils Reglementierungen in der Erotisierung einzelner Körperteile mit sich. In dem erwähnten Film („Bi ...“) beispielsweise wird gezeigt, daß ein Mann sich seinen Hintern streicheln läßt, und zwar sowohl von einer Frau als auch von einem Mann: eine Variante, die in „heterosexuellen“ Pornofilmen ganz klar nicht gestattet ist. Männer in Heteropornos berühren sich niemals, selbst dann nicht, wenn sie sich gemeinsam eine Frau teilen. Die dem bisexuellen Sandwich- Trio im Bereich des Heteropornos analoge Funktion scheint mir die gleichzeitige anale und vaginale Penetration einer Frau durch zwei Männer zu sein, wobei die Arme unter Umständen zusätzlich den Penis eines Dritten lutschen muß.
Damit wären wir beim Thema Arbeit. Daß in Pornos gearbeitet wird, sieht man nämlich, und zwar nicht nur an den anstrengenden physischen Kapriolen, die den Models abverlangt werden, sondern auch daran, daß die Männer so gut wie nie vollständige Erektionen haben.
Im übrigen wird alles dafür getan, um den Eindruck von Privatheit zu vermeiden. Zwar finden die meisten Szenen in Wohn- oder Schlafzimmerinterieurs statt, aber die Räume sind so clean dekoriert und gleichmäßig ausgeleuchtet wie in Möbelhauskatalogen der Mittelklasse (in Orlowski-Produkten ist eindeutig „Ikea“ Vorbild). In den Spielfilmen erweitert sich die sexuelle Topographie um Lieferwagenladeflächen, Hausbootplanken, Polizeirevierschreibtische, um nur ein paar Beispiele zu nennen.
Professionalität und Austauschbarkeit der Darsteller (Austauschbarkeit = Professionalität) werden durch standardisierte, verläßliche Körperzeichen vermittelt: Das ist das ästhetische Antimodell der FKK-Prinzipien. Weibliche Pornomodels haben sich vor dem Drehen stets reichlich und perfekt geschminkt und frisiert, und zwar auf diese Sonnen- und Bodybuildingstudio-Art. Nagellack und lange Krallen sind ein absolutes Muß, meistens tragen die Frauen Strapse und große Ohrringe, Stöckelschuhe oder Stiefel sind Pflicht und werden auch während der sexuellen Handlung niemals abgelegt. (Davon wird offenbar lediglich dann eine Ausnahme gemacht, wenn die Darstellerinnen besonders jung wirken sollen: In dem Film „Sweet Teenies“ tragen die Models keine Stöckelschuhe und haben Baumwollunterhöschen an.)
Und die Männer? Auch sie sind nie nackt. Stets bleibt die Uhr am Handgelenk, die Kette um den Hals, der Strumpf am Fuß. Kondome tragen sie nicht – noch nicht. Nur in einem einzigen Film der getroffenen Auswahl, kaum zufällig ein US-amerikanischer, verwenden die Männer konsequent Gummis, allerdings wird das Drauf- und Abmachen nicht gezeigt.
Eine kuriose Regel der Pornoästhetik lautet: Männer rasieren sich den Bart, Frauen das Geschlecht – und zwar meistens im Schamlippenbereich: dort also, wo die Kamera gerne ganz nah ranfährt. Mit der optischen Freilegung des weiblichen Genitals geht aber keineswegs, wie man meinen könnte, eine Repräsentanz des weiblichen Sexualerlebens einher. Die gesamte pornographische Sequenz wird nachträglich mit einem Soundtrack überlegt, bestehend aus gesummten „Ahhhs“ des Mannes und mehr ins Quietschen gehenden „Ohhhs“ der Frau, die genauso gleichförmig sind wie die Musik. Das sind die Zeichen der Lust. Offenbar sollen sie sagen: Alles ist gleich toll.
Davon unterscheiden sich die Zeichen des sexuellen Höhepunkts. Zwar gibt es in Pornofilmen, wie gesagt, fast nie vollständige Erektionen, und selbst die mittelstarken werden unbekümmert onanistisch hergestellt, dafür aber können die Betrachter sicher sein, daß sie am Ende eine Ejakulation zu sehen bekommen. Diese wird meistens mit „ich komme“ angekündigt, woraufhin die Frau antwortet „ja, gib es mir“, doch bleibt offen, ob das heißen soll „gib mir den Orgasmus“ oder „gib mir den Samen“. Die Frau kündigt ihren Höhepunkt nie an, er bleibt unerkennbar.
Denkt man an die wenigstens in manchen Filmen recht präzisen Stimulierungen, ist das durchaus verwunderlich. Klitorale Stimulation – in manchen Filmen von den Frauen selbst vorgenommen (nie jedoch bei Theresa Orlowski) – ist keineswegs tabuisiert, nur wird sie immer wieder abgebrochen. Das ist in dem Film „Women in Prison“, in dem logischerweise nur Frauen mitmachen, genauso: Die Kamera zieht sich prinzipiell „vorher“ zurück.
Nicht der Pornofilm ist das Rätsel, sondern die Wirkungen, die er erzielt. Auf abstruse Weise sichtbar wird das in den eingangs erwähnten Pornofilmen mit Laiendarstellern. Helene aus Elberfeld, Typ Hausfrau, grinst: „Pissen, das geht guuut.“ Sie sitzt neben ihrem stillen Ehemann auf dem häuslichen Wohnzimmersofa und plauscht mit Harry. Harry, ein fülliger, gutwillig aussehender Mensch mit Schnäuzer und Pferdeschwänzchen, ist Redakteur des Annoncenblattes Happy Weekend. Er besucht Paare, die sich bei ihm melden, in der ganzen Republik und führt mit ihnen sogenannte „Intiminterviews“ (wichtiger Punkt: Eifersucht). Anschließend wird im Schlafzimmer gefilmt.
Was diese deutschen Bürger „authentisch“ vorführen, überschreitet die Regeln des professionellen Pornos: Die Paare produzieren „O-Ton“ (wobei manche sehr still sind), es wird kein Musiksoundtrack gespielt (statt dessen klingelt gelegentlich das Telefon), die Frauen tragen fast nie Pumps im Bett, und nur selten beglückt ein Mann seine Frau mit einer extrakorporalen Ejakulation. Überhaupt geht der privatistische Pornofilm mit dem Höhepunkt des Mannes unorthodox um: Er wird oft gar nicht gezeigt.
Wenn Profipornofilme Sex zeigen, der keine Konsequenzen hat, so kann man sagen, daß diese Leute aus ihrem Sex bereits Konsequenzen gezogen haben. Ein Mann sagt zu seiner Freundin vor der Kamera „ich liebe dich“. Ebenso jedoch wie man den (übrigens ausnahmslos kleinbürgerlichen) Laien ansieht, daß sie aufeinander eingespielt sind, spürt man die Ausnahmesituation. Harry weiß das. Heike aus Neustadt fragt er, ob sie feuchte Hände habe und warum? „Weil's das erste Mal ist.“ Während wir Heike und ihren bärtigen Freund im Gespräch sehen, wird bereits eingeblendet, wie er sie später unter Verwendung von viel Schaum rasiert. An Doktorspiele erinnern auch Maike und Petra, die versichern, keine Lesben zu sein, „aber bi schon“, und deren Vergnügen angeblich darin besteht, daß die eine sich der anderen unterwirft. Von Maikes Lederkorsett abgesehen, lassen die anschließend gezeigten Umarmungen und Küsse das nicht unbedingt vermuten.
Was veranlaßt Paare, sich beim Sex filmen zu lassen? Lothar aus Darmstadt: „Ma' sucht halt immer das Außergewöhnliche.“ Seine Frau wird von Harry gefragt, ob sie beim kürzlich ausprobierten „PT“ (Partnertausch) „gekommen“ sei. „Nein.“ „Aber bei ihm (Harry zeigt auf Lothar) kommst du?“ „Ja.“ Der Drehtermin wurde auf den Vormittag gelegt. Da ist das Kind im Kindergarten.
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