■ Ohrenkunde: Als „elder statesman“ noch nicht alt genug
Bonn (taz) – Der Rücktritt war kein Rückzug aus der Politik. Auch nachdem Hans-Dietrich Genscher im April letzten Jahres nach 18 Jahren das Amt des Außenministers niedergelegt hatte, mischte er sich immer wieder in die Politik der Bonner Koalition und der FDP ein – für den Geschmack mancher Parteifreunde zu viel. Die munkeln über „unsichtbare Fesseln“, die er seinem Amtsnachfolger Klaus Kinkel anlege und beschweren sich über die Protektion, die Genscher der Justizministerin Sabine Leutheusser- Schnarrenberger zukommen lasse.
Schon im letzten Sommer und damit als einer der ersten in seiner Partei äußerte Genscher sich öffentlich zu der Möglichkeit einer Ampel-Koalition aus SPD, Grünen und FDP. Für die Rolle eines elder statesman ist der 66jährige offensichtlich noch nicht alt genug. Bis zur Wahl von Kinkel zum neuen FDP-Chef am 11. Juni gehörte Genscher immer noch zu den Teilnehmern der Koalitionsrunde, die jeden Dienstag unter Kanzler Helmut Kohl tagt. Aus dieser Runde hat er sich jetzt zurückgezogen. Dem Bundestag, der 1994 neu gewählt wird, will Genscher aber weitere vier Jahre angehören.
Weniger klar sind seine Absichten, wenn es um das Amt des Bundespräsidenten geht. Sowohl Kinkel wie auch Jürgen W. Möllemann forderten ihn unlängst dazu auf, als Nachfolger von Richard von Weizsäcker anzutreten. „Ich habe wiederholt erklärt“, lehnte Genscher ab, „daß ich dafür nicht zur Verfügung stehe, dabei bleibt es.“ Die Formulierung ist uneindeutig genug, meinen viele, um die Spekulationen fortsetzen zu können. hmt
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