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„Wir zogen beide an einem Strang“

DDR-Kundschafter Guillaume sieht sich als Zeuge im Prozeß gegen Markus Wolf als „ehrlicher Diener“ von Brandt und Wolf / Verteidigung will Kinkel als Zeugen hören  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Im fensterlosen, abhörsicheren Saal A01 des Düsseldorfer Oberlandesgerichtes kennt der Zeuge sich aus. Der 4. Strafsenat, der jetzt über den ehemaligen Chef der DDR-Auslandsspionage, Markus Wolf, zu Gericht sitzt, hat schon Günter Guillaume – allerdings in anderer Besetzung – im Jahr 1975 zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Damals war der heutige Senatsvorsitzende Klaus Wagner damit beschäftigt, RAF-Mitglieder und andere Staatsfeinde abzuurteilen. Gesinnungsfest agiert Wagner auch heute. Während das Berliner Kammergericht das Verfahren gegen den Wolf-Nachfolger Werner Großmann aussetzte, um seine Verfassungsmäßigkiet prüfen zu lassen, wies Wagner einen entsprechenden Antrag kurzerhand ab. Zwischen der Verteidigung und dem Vorsitzenden herrscht seitdem eine eisige Atmosphäre. Manchmal bekommt auch der Zeuge Guillaume etwas davon zu spüren. „Ich dachte, ich sei hier als Zeuge geladen und nicht als Angeklagter“, beschwert sich Guillaume einmal während der Vernehmung.

Der inzwischen ergraute, eine dicke Hornbrille tragende 66jährige Ex-Spion hat sich rein äußerlich sehr verändert. Wer ihn nur von Fotos aus seiner Agentenzeit in der Umgebung von Willy Brandt kennt, vermag ihn kaum wiederzuerkennen. Sein Verhältnis zu Willy Brandt beschreibt Guillaume, der 1981 im Rahmen eines großen Agentenaustausches in die DDR zurückkehren konnte, so: Auch wenn es vielleicht überrasche, aber es habe zwei Männer gegeben, „denen ich ehrlich gedient habe und für die ich versucht habe, mein Ganzes zu geben. Das waren Willy Brandt und Markus Wolf“. Brandt habe den Friedensnobelpreis „nicht zu Unrecht bekommen und ich fand es nicht abwegig, daß an seiner Seite auch ein Partisan des Friedens tätig war. In gewisser Weise zogen wir an einem Strang“. Eine solche Sicht hält Wagner für unerhört. Brandt sei doch immerhin über den Zeugen und dessen Vertrauensbruch gestolpert. Guillaume sieht das anders: „Ich war nur der Knüppel für gewisse Kräfte, die Willy Brandt aus dem Amt jagen wollten.“

Daß diese Version nicht so ohne weiteres als platter Rechtfertigungsversuch abzutun ist, wurde am Ende der gestrigen Verhandlung klar. Die hohe Haftstrafe für Guillaume, „die schwere Gefahr für die äußere Sicherheit“, die er laut Urteil für die Bundesrepublik Deutschland heraufbeschworen hat, bezieht sich vor allem auf seinen Verrat im Zusammenhang mit einer Urlaubsreise von Willy Brandt nach Norwegen, die er vom 29. Juni bis zum 1. August des Jahres 1973 unternahm. Während dieser Zeit fielen Guillaume wichtige Dokumente von Nato-Bündnispartnern in die Hände. Dieser Verrat fand unter den Augen der westdeutschen Sicherheitsdienste statt – das jedenfalls geht aus einem Antrag hervor, den gestern die Verteidigung stellte. Demnach soll der damalige Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Nollau, dem damaligen Genscher-Referenten und heutigen Außenminister Klaus Kinkel, am 29.5.73 in einem Gespräch berichtet haben, daß gegen Guillaume schwerwiegende Verdachtsmomente existierten. Genscher war damals Innenminister. Glaubt man Wolf- Verteidiger Schwenn, dann hat Kinkel über dieses Gespräch einen Vermerk angefertigt, vordatiert auf den 25.5.73, der entgegen den Vorschriften erst im Mai 1974 in der Geheimregistratur des Innenministeriums abgelegt wurde. Über den von Nollau geäußerten Verdacht wurde Brandt nie informiert. Warum nicht? Entweder, so argumentiert die Verteidigung, wegen der völligen Unfähigkeit der Beteiligten oder aus politischem Kalkül, weil es darum ging, mit Hilfe von Guillaume Brandt zu stürzen. Über den Antrag, Kinkel als Zeugen zu hören, steht eine Entscheidung des Gerichts noch aus. Für die Verteidigung steht fest, daß ihr Mandant hier für einen Verratsfall verantwortlich gemacht wird, den „der strafende Staat selbst zu verantworten hat“.

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