■ Kellereien der Champagne stehen vor der größten Krise
: Wenn der Preis für Schampus fällt...

Berlin (taz) – Dreißig Jahre steigender Umsatz und Champagnerdurst waren auch dreißig Jahre steigender Preise und vor allem – Rekordproduktionen. Ja ging das denn? 1989, als das winzige Gebiet der Champagne mit 249 Millionen Flaschen mal wieder einen Verkaufsrekord aufgestellt hatte, begannen gutgläubige Franzosen erstmals die These aufzustellen, die renommierten Kellereien um Reims und Epernay hätten vielleicht ein Megaklon-Verfahren für bereits abgefüllte Flaschen entwickelt. So viel Champagner, wie zum Verkauf stand, konnte es doch gar nicht geben. Die Mißtrauischen unter ihnen wollten gar einen regen Flüssiggut-Verkehr aus dem Süden des Landes beobachtet haben. Beide Thesen wurden allerdings nie verifiziert.

Doch nun schrillen in den „großen Häusern“ die Alarmglocken. Schon 1991 wurden weltweit 35 Millionen Flaschen weniger veräußert, trotz diverser Preiseinbrüche sind die Lager seitdem mit etwa einer Milliarde Flaschen zum Bersten gefüllt. Man spricht schockiert von der schwersten Absatzkrise seit Jahrzehnten. Und die kürzlich von den „führenden Häusern“ in Auftrag gegebene Umfrage „Trinken Sie im Restaurant manchmal Champagner“, unter 780 ausgesucht betuchten GalierInnen, soll zu 85 Prozent mit einem barschen „Nein!“ beantwortet worden sein. Viel lieber wird mittlerweile der ebenso hochwertige wie erschwingliche spanische Sekt getrunken.

Um von dem klebrigen „Vielzuteuer“-Image und all den Flaschen auf Halde loszukommen, haben 21 Häuser nun einen „Pakt“ mit den Gastwirten von rund 700 Restaurants in ganz Frankreich geschlossen. Sie bekommen die Nobelbrause „zu Vorzugspreisen geliefert“. Im Gegenzug sind „die Gastwirte gehalten, den Preisabschlag an die Kunden weiterzugeben“. Kostete die billigste Flasche im Restaurant bisher umgerechnet mindestens neunzig Mark, soll der Schaumtraum seit Mitte Juni und vorläufig bis zum 31. Dezember schon ab lächerlichen sechzig Märkern verhökert werden dürfen. Auch der Markenbrut soll im Schnitt volle 25 Prozent billiger kommen. Und, wahrscheinlich eine Reaktion auf die kleinen Hersteller mit ihren Dumpingpreisen, es soll erstmals eine Begrenzung der Ernte geben. Na wenn das keine echte Offensive ist.

Doch es kommt noch schlimmer: Moet Chandon und Pommery, die beiden Branchenriesen, wollen MitarbeiterInnen entlassen. Und Taittinger will ganz hart rangehen: totale Mobilität soll den Angestellten zur Pflicht gerinnen. Die Sekretärin soll auch verpacken, der Kellermeister mit hinaus auf die Felder... Ja schmeckt denn da noch das teure Rülpswasser?

Den ChampagnerwerkerInnen wohl nimmermehr: seit vergangenen Dienstag mittag ist in Reims jedenfalls die Hölle los. Der Direktor der Kellerei Veuve Cliquot, Joseph Henriot höchstselbst, wird von seinen Angestellten im eigenen Büro festgehalten, weil er angekündigt hat, 94 Stellen abbauen zu wollen. Noch nicht einmal Zugeständnisse im Austausch für seine „Freilassung“ will er machen. Dabei fordern die Angestellten in ihrem Sozialplan selbst immerhin noch „einsichtige“ 41 Entlassungen, und Vorruhestandsregelungen für 53 MitarbeiterInnen. Der Konzern Louis Vuitton-Moet-Hennessy, dem Veuve-Cliquot gehört, verkaufte noch im vergangenen Jahr weltweit 7,4 Millionen Flaschen des edlen Nasses. Da wollen die MitarbeiterInnen doch nicht einsehen, daß sie so abserviert werden sollen. In Reims und Paris fanden bereits erste Protestkundgebungen statt. Sollte ausgerechnet die Champagne, sonst stets in sprudelndem Eifer zu Diensten der Reichen, zum Zentrum neuer Unruhen werden? Philippe André