: „Schwerer außenpolitischer Schaden“
■ Maastrichter Verträge vor Bundesverfassungsgericht / Vier Grüne, ein konservativer FDPler und ein Bonner Beamter führen die Beschwerde
Berlin (taz/dpa/AFP) – Der Bundestag segnete sie im vergangenen Dezember mit nur 16 Gegenstimmen ab, der Bundesrat war einstimmig dafür – jetzt befassen sich die Karlsruher Verfassungsrichter mit den Maastrichter Verträgen, dem größten außenpolitischen Projekt Bonns. Ihnen liegen Verfassungsbeschwerden von vier grünen EuropaparlamentarierInnen, einem ehemaligen Kommissionsmitarbeiter und einem Bonner Beamten vor, die sie seit gestern prüfen.
Gestern, am ersten von zwei Verhandlungstagen, stellten sich Bundesaußenminister Klaus Kinkel und Finanzminister Theo Waigel den kritischen Fragen der Richter des Zweiten Senats. Heute wird Bundesbankpräsident Helmut Schlesinger als Fürredner der Verträge erwartet.
Kinkel warnte vor „schwerem außenpolitischen Schaden“. Die Verträge stünden in der Kontinuität der deutschen Außen- und Europapolitik und sicherten den Fortbestand der Bundesrepublik als Staat innerhalb der europäischen Union, sagte er. Waigel versuchte, Befürchtungen vor dem Verlust der starken DM in einer Währungsunion auszuräumen: „Wir liefern uns nicht anonymen Kräften aus.“ Die Beschwerden sind einig im Ziel, aber verschieden in der Argumentation. Die Grünen kritisieren das „Demokratiedefizit“ in der Europäischen Union. Ihr Sprecher, Europaparlamentarier Wilfried Telkämper, kritisiert die Rolle des Europaparlaments, das auch nach den Maastrichter Verträgen entschieden weniger Kontroll- und Gesetzgebungsrechte als der Bundestag haben wird. Die politischen Kompetenzen lägen vielmehr beim Ministerrat, der nicht ausreichend demokratisch legitimiert sei. „Was jetzt zusammenwächst, ist bürokratischer Zentralismus, der nationalstaatlich organisiert wird“, sagte Telkämper gestern. Ex-Kommissionsmitarbeiter, Manfred Brunner (FDP), hat Angst vor dem Verlust der „deutschen Staatlichkeit“: Durch den Vertrag fühlt er sich in seinem Grundrecht „auf demokratisch legitimierte Vertretung durch ein deutsches Gesetzgebungsorgan verletzt“. Alle Beschwerdeführer verlangen eine Volksabstimmung. Lange hatte die Bonner Regierung ihre EG-Kollegen gedrängt, bis „allerspätestens“ 31. Dezember 1992 die Maastrichter Verträge zu ratifizieren. Sieben Monate danach fehlen zwar immer noch die Unterschriften der Bundesrepublik Deutschland und Großbritanniens, doch der Zweckoptimismus ist Kanzler Helmut Kohl geblieben. Beim EG-Gipfel vor zwei Wochen in Kopenhagen war wieder er es, der alle anderen zu einem eintägigen „Sondergipfel in der zweiten Oktoberhälfte“ drängte, wo der erfolgreiche Abschluß des Ratifizierungsprozesses gefeiert werden soll. Ob es im Oktober tatsächlich etwas zu feiern gibt, liegt jetzt vor allem in der Hand des Bundesverfassungsgerichtes. Dessen Entscheidung wird im Herbst erwartet. dora
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen