: Unterm Strich
Die Feierlichkeiten in Potsdam erreichen an diesem Wochenende ihren Höhepunkt mit einem offiziellen Festakt im Theaterhaus, bei dem Bundespräsident Richard von Weizsäcker ein Grußwort sprechen wird. Da sich der Bogen der Chose dann mit lebenden Promis nicht mehr weiter spannen läßt, hat sich die Organisation eine ziemlich groovy Zombie-Show ausgedacht: „So wird Friedrich der Große im Gespräch mit Voltaire durch die Straßen wandeln, Kaiser Wilhelm II. wird seine Befehle erteilen und Sophie Charlotte flaniert die Straßen entlang – eskortiert von Kürassieren.“ Der Abend endet, wie wir aus allgemein gut unterrichteten Kreisen erfuhren, mit dem traditionellen Spießrutenlaufen der Kadettenschaft.
Den Berlinern offenbart derzeit die Initiative zum Wiederaufbau des barocken Stadtschlosses, daß der Mythos Preußen immer noch für einen Rummel gut ist. Das Stadtschloß aus Plastikbahnen flattert munter im Wind und zeigt sich dem Betrachter, der mehr wissen will, als hohler Kulissenzauber – leeres Füllsel einer nicht zufällig leeren Mitte. Erstaunlich genug, daß sich die revolutionären Kräfte unserer Metropole noch nicht der autonomen Gestaltung der Sache angenommen haben. Unser sonst so putzmunterer Ticker wird da ganz elegisch; man meldet uns zwei ältere Damen, die in ihrer Jugend über die Linden bis zum Schloß flanierten und es aus sentimentalen Gründen richtig fänden, wenn „das schönste Bauwerk der Mitte Berlins neu entsteht“: „Leider werden wir die Einweihung nicht mehr miterleben.“ Trösten Sie sich, Verehrteste – da wird es uns, die wir allesamt noch ziemlich gut im Saft stehen, kaum besser ergehen!
Sehr seltsam: Preußen verkauft sich derzeit wirklich ganz miserabel. Das Marlene-Dietrich-Musical „Sag mir wo die Blumen sind“ von Produzent Friedrich Kurz ist im Berliner Theater am Kurfürstendamm wegen finanzieller Probleme abgesetzt worden. Der Grund: hohe Mietkosten (zwei Millionen Mark jährlich) bei einer ganz und gar nicht zufriedenstellenden Auslastung. Man will das durchgefallene Stück jetzt einem noch ahnungslosen Publikum von Marlene-Nostalgikern in Rom, Hamburg und Paris vorsetzen. Bereits gekaufte „Marlene“-Karten sollen für das Musical „Shakespeare & Rock‘n‘Roll“ angerechnet werden, das demnächst im Musical-Theater Berlin, der ehemaligen Freien Volksbühne, gespielt werden soll. Na denn viel Vagnüjen!
Wo wir einmal bei den Pleiten sind: Die Wochenschrift „Die Weltbühne“ wird mit Erscheinen des nächsten Heftes eingestellt. Ein „ähnliches Heft“ soll aber unter dem Titel „Die Wildbiene“ erscheinen. Der neue Titel, hieß es, biete die Chance, sich von dem „historischen Mythos der ,Weltbühne‘ zu befreien“. Bei solcher spätpubertärer Verleger-Poesie regt sich aber unabweisbar der Verdacht, daß sich das ganze stracks zur Abiturzeitschrift mausern will.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen