piwik no script img

Rot-grüne Gespenster in Hamburg

Am 19. September schreiten die Hamburger zu den Bürgerschaftswahlen / Absolute Mehrheit der SPD in Gefahr, Koalitionen jedoch völlig unklar / CDU ganz tief im Keller  ■ Aus Hamburg Florian Marten

Die brave Hansestadt Hamburg wurde durch den verfassungrichterlichen Neuwahlzwang jäh aus ihrem Politschlaf geweckt. Ein bißchen mehr Demokratie und der Schatten einer rot-grünen Koalition sorgen für Unruhe.

Erobern erstmals rechtsradikale Politiker Sitze in der Hamburger Bürgerschaft? Wird die Wahl am 19. September ein Signal für einen rot-grünen Machtwechsel in Bonn? Beginnt ein erneuter flächendeckender Abschied der Freidemokraten aus Länderparlamenten an der Elbe? Muß unser Parteienstaat etwa wirklich Abschied nehmen von Mauschelei und Seilschaften?

In der Boomtown Hamburg, weniger rezessionsgeschüttelt als Restdeutschland, herrschen derzeit heilsame Verwirrung, Aufbruchstimmung und Angst. Wie ein Blitz fuhr am 3. Mai ein Urteil des Hamburger Verfassungsgerichts in die Halbzeit-Siesta der 14. Legislaturperiode. Die alleinregierende SPD dümpelte nach dem Mastbruch eines einjährigen Diätenskandals in der behaglichen Flaute nicht gehaltener Wahlversprechen, die Grünen labten sich an Bosnien-Bomber-Debatten, die CDU schob die quälende Kür ihres nächsten Wahlverlierers vor sich her, während die FDP allenfalls bei den genialisch-unkalkulierbaren Soloauftritten ihres altväterlichen Immobilienpatriarchen Robert Vogel aus dem Tiefschlaf auffuhr. Diese Idylle wurde jäh gestört. Die Richter gaben, politisch sensationell, juristisch überfällig, der Klage des renitenten CDU-Querulanten Markus Wegener recht, der seit Jahren gegen die Seilschaftendiktatur anrennt. Das Gericht notierte drastische Demokratiedefizite der CDU und urteilte, ein demokratisches Wahlverfahren hätte zu anderen Kandidaten und einem anderen Landesparlament geführt – mithin müsse ein neues her.

Das werden die HamburgerInnen am 19. September wählen. Die aktuellen Meinungsumfragen deuten auf heftige Eruptionen im festgefügten Politgefüge der Stadt, die seit der Nazi-Zeit mit einer winzigen Bürgerblock-Unterbrechung von 1953 bis 1957 immer von der SPD regiert wurde – allein die FDP durfte ein paarmal mitmachen. Die SPD wird aller Voraussicht nach ihre 1991 errungene absolute Mehrheit von 61 der 121 Bürgerschaftssitze verlieren. Der FDP droht die Fünf-Prozent-Guillotine, und die CDU, schon 1991 gebeutelt, pirscht sich zielsicher an das Unterschreiten der 30-Prozent- Marke heran. Die runderneuerten Grünen kalkulieren erstmals zweistellig – Prognosen sprechen von 13 bis 16 Prozent. Zweiter Wahlsieger könnten die Republikaner sein. Ihr Abschneiden, derzeit mit fünf bis acht Prozent prophezeit, ist im gegenüber braunen Anfechtungen traditionell überaus resistenten Hamburg schwer kalkulierbar.

Den Schock des plötzlichen Wahlkampfes verdauten die Sozialdemokraten schnell. Ihr erfolgsarmer Bürgermeister Henning Voscherau wittert gar Morgenluft, weil sein Wunsch, den Hamburger Sozi-Niederungen zu entfliehen und einen Dienstmercedes mit BN-Nummer zu ergattern, sprunghaft gestiegen sind: erzielt er erneut ein respektables Ergebnis, möchte er unter einem Bundeskanzler Rudolf Scharping Innenminister werden. In der Pfalz prüft man derzeit dieses Ansinnen mit wohlwollendem Interesse. Die SPD selbst spürt plötzlich die Chance, den Frust erfolgloser Politik und heftiger Politikverdrossenheit in einem reinigenden Wahlkampfbad abzustreifen.

Wenn sich der jugendlich-professionelle Wahlkampfberater der Grünen freut, „die Grünen sind ein prima Produkt – das läßt sich in Hamburg gut verkaufen“ und von ihrem „topmodernen multioptionalen Politikansatz“ schwärmt, liegt er gar nicht so daneben: 1991 noch ein politischer Scherbenhaufen, empfinden Hamburgs Grüne, heute angeführt von der Pragmatikerin Krista Sager, ihre bunte Vielfalt erstmals nicht als Belastung, sondern als politischen Reichtum.

Programm, Personen, Wahlkampfstrategie und innere Umgangsformen schlagen die Brücke von den Marktwirtschafts-Yuppies aus Blankenese bis zu den Basisdemokraten aus der Hafenstraße. Erstmals auch sind sie fest entschlossen, Hamburg von der Regierungsbank aus mitzugestalten. Offizielles SPD-Wahlziel ist erneut die absolute Mehrheit. Wahrscheinlicher gilt den Elbgenossen aber eine Koalition.

Nachdem die FDP jetzt mit der Nominierung der Spitzenkandidatin Gisela Wild und ihres Mentors Robert Vogel Kandidatinnen nach vorne schob, die Stadtchef Voscherau als „bar jeden sozialen Gewissens“ tituliert, ist Voscheraus Versprecher vielleicht sogar ernstzunehmen: „Diese FDP dürfen wir nicht an die Schalthebel der Macht lassen.“ Eine große Koalition mit den Demokratiesündern von der CDU wird ebenfalls praktisch ausgeschlossen. Voscherau: „Die dürfen wir für ihr Fehlverhalten nicht noch prämieren.“

Bleibt Rot-Grün. Das hat bei der SPD flügelübergreifend heftige Angst ausgelöst: fassen die Grünen in Regierung und Verwaltung wirklich Fuß, ist das klientelistische Machtmonopol ganz anders in Gefahr als bei den Regierungsstippvisiten der FDP. Hessen mit einem Joschka Fischer, der die SPD-Beteiligung an der Regierung fast vergessen macht, gilt als Menetekel. Stadtchef Henning Voscherau verbot deshalb seinen Genossen jeden öffentlichen Kontakt mit den Grünen.

Ausgerechnet Hamburgs ÖTV- Chef Rolf Fritsch, selbst SPD-Mitglied, nervte das ÖTV-Mitglied Voscherau mit öffentlichen Forderungen nach einem rot-grünen Reformkurs. Ein alter Voscherau- Spezi, Ex-SPD-Fraktionschef Paul Busse, forderte daraufhin die ÖTV auf, sie solle „dem Kollegen Fritsch den Mund stopfen“. Die ÖTV konterte und verabschiedete einstimmig eine überdeutliche Regierungsschelte der SPD-Politik mitsamt der Forderung nach einer „sozialen und ökologischen Reformpolitik“.

Sorgen um irgendeine Art von Regierungsbeteiligung macht sich augenblicklich am allerwenigsten die CDU. Angeführt vom glücklosen verkehrspolitischen Sprecher der CDU-Bundestagsfraktion, Dirk Fischer, der so gerne Verkehrsminister geworden wäre, aber von Kohl einfach nicht geliebt wird, stolpert sie von einem Fettnäpfchen ins nächste.

Zwar änderte die Partei nach dem Richterspruch schnell ihre Satzung, allerdings nichts an ihrer Mauschelpolitik. Fischers inner circle verblüffte die ausgeblutete CDU mit personellen Quereinsteigern wie dem Hapag-Lloyd-Vorständler Kruse und dem Pastor Mohaupt. Das ging schief: Mohaupt zog sein Ja zurück, altgediente Christdemokraten der linken Mitte schmissen das Handtuch, der CDU-Abgeordnete Detlev Kleinmagd verließ die Partei und empfiehlt die Wahl Henning Voscheraus.

Und der Auslöser von alldem, der Parteirebell Markus Wegener, hat seinen parteilosen Zustand in tätiger Selbsthilfe beendet. Er gründete jetzt die „Statt-Partei“ und glaubt wieder einmal an die Gerechtigkeit. Diesmal soll sie vom Wähler kommen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen