Rock'n'calli

■ Stippvisite von „Porno For Pyros“ mit Zirkus- und Striptease-Show

Mode-Boutiquen aufgepaßt: Wir schreiben das Jahr 1993, Chicagos Swing-Rocker Urge Overkill haben es seit Jahren im Blut, jetzt propagiert es auch Perry Farrell, der Underground-Zampano von der US-amerikanischen Westküste: die frohe Kunde der vollständigen Rehabilitierung des Ornaments, nieder mit der Liederlichkeit! Gegen das Übel stereotypen Rockertums und reizlosen Bühnengebarens wurde am Sonntag abend im Docks schweres Kaliber aufgefahren: Eine trotz Porno For Pyros-Powerplay bei MTV überschaubare Schar (die Vorband Erotic Jesus sahen zu Beginn knapp 30 versprengte Schulkinder) durfte verfolgen, wie sich die Bühne bis zur letzten Ecke mit Aufbauten im Stil zeitloser Kasperle-Kunst füllte.

Dementsprechend ließ Farrell, mit Neon-Streichholzkopf und Lackschlaghose ein Bastard der letzten zwei Jahrzehnte, wenig Raum für eigene Assoziationen. Mit einem im Zentrum des Kiezes optimal positionierten Zirkus halbgarer pseudo-erotischer Spielereien, samt Tanz, Turn und Feuerspuck lieferten Porno for Pyros ein prächtiges Beispiel amerikanisch (oder schon universell?) comic-hafter Bildlichkeit. „Porno“ wurde dabei, entgegen den vorhergehenden Ausführungen des tolerant-aufgeklärten Bandleaders, leider wieder nur mit elastisch biegsamen Frauenfleisch übersetzt, der zahlreich erschienenen, ebenso nach Reiz verlangenden Weiblichkeit zum Trotz, die dann auch teilweise demonstrativ des Saal räumte.

Die nicht versiegende Quelle von Provokationen aus Farrells Hobbykeller brachte dann noch einen aus Gummi-Titten und Schwanz spritzenden Stelzenmenschen zutage - eine Figur, die wie so einiges dieser Show an die Bühnentheatralik der San Francisco-Roadshow der Tubes erinnerte -, und der Meister selbst probte, nachdem ihm dieses Symbol pressewirksam auf dem LP-Cover verwehrt worden ist, wenigstens auf der Bühne ein menschliches Hakenkreuz - keiner hat's gesehen.

Begründet wurde die wie Tüten-Brausepulver prickelnde Inszenierung durch den vermeintlichen Schwerpunkt des Abends: eigentlich sollte es ja ein Konzert sein. Doch ohne Firlefanz wäre das von Farrells Sirenenorgan dominierte, dezent psychedelische Gitarrengedudel, das daheim so unbeschwert erfreut, allem In-die-Brust-werfen zum Trotz im Raum verpufft. So tauschten wir dankbar den handelsüblichen humorreduzierten Ego-Trip gegen unterhaltsam-überzeichnete Episoden einer amerikanischen Spätpubertät mit dem schleimigen Unterton der Roncalli'schen Intimitätstyrannei.

Und auch an das begrenzte Aufnahme- und Stehvermögen junger Mitglieder der Informationsgesellschaft dachte das Quartett: nach 50 Minuten, es wurde genau die Debüt-Platte abgespielt, war der farbenfrohe B-Movie unwiederbringlich zu Ende.

Holger in't Veld