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Holt die Wäsche von der Leine!

■ ...die Gaukler sind in der Stadt: Die Theater-Karawane gastiert morgen am Kuhhirten-Parkplatz / Heute abend Varieté vorm Schlachthof

Die Fahrensleute kommen! Und die Dörfler holen tatsächlich die Wäsche herein und vernageln ihre Fenster mit Brettern, die freilich nicht die Welt bedeuten. Denn sowas ist die Theater- “Karawane“ halt gewohnt.

Und schließlich gibt's in jedem noch so kleinen Nest immer ein paar Leute, die dann doch die Neugier packt. Die dem bunten Haufen nachlaufen und dann abends, wenn die Wagenburg am Dorfrand Platz genommen hat, das „Gauklermärchen“ erleben. Jetzt sind die Bremer dran: Heute und morgen gastiert die Karawane am Kuhhirten, um Michael Endes Mär zu spielen.

Die geht ungefähr so: Die verarmte, aber ehrliche Zirkustruppe hat ihr letztes Zelt an den Pfandleiher verloren; morgen schon soll nun auch noch ihr Platz geräumt werden — der böse Chemie-Gigant will dort bauen. Es sei denn, die Gaukler verkauften ihre Seele an die Industrie: Entweder Räumung — oder als Reklametruppe über Lande tingeln.

Helmstedt lacht. „Als ich das erste Kapitel zum ersten Mal gelesen hab, hat mich das unheimlich an die Wagenburg erinnert, in der ich damals in Berlin gewohnt hab.“ Helmstedt gefiel die Parallele, und so übernahm er die Regie. Er, wie der Rest der Karawane, versteht sich als Gaukler, als reisender Laienschauspieler, Artist und Lebenskünstler — und als Darsteller seiner selbst.

Werktag bei der Theaterkarawane oder: Wie man ein wildes und gefährliches Stilleben führtFoto: Katja Heddinga

„Wir wollen nicht nur zirkusmäßig rumziehen“, sagt Helmstedt. Auch wenn „ein bißchen Zirkusromantik“ immer dabei ist, wenn der bunte Treck aus Bauwagen, Traktoren und Lastwagen von Ort zu Ort zieht. Neben dem

hierhin bitte

das Foto von dem

Akkordeonspieler

draußen mit Hund

Spektakel ist es den Gauklern auch darum getan, „mehr Akzeptanz für unsere Art der Lebensweise“ zu erreichen.

Nämlich: Nicht irgendwo in einer Neubau-Wohnwabe zu hausen, „in so 'ner isolierten

Wohneinheit“. Sondern mobil zu wohnen, zudem in ständig wechselnder Gemeinschaft, und dabei alles Lebensnotwendige auf kleinstem Raume mitzuschleppen. Solarzellen auf dem Dach, den Bollerofen im Wagen

und vor der Zimmertür den Rest der Welt: Das klingt allemal romantisch, aber die Härten dieses Lebens sind Helmstedt unter den blauen Augen abzulesen.

Im Mai brach die Karawane von Frankfurt/Main auf. Kollegen vom dortigen „Antagon- Theater auf Rädern“ halfen der Ende-Inszenierung künstlerisch auf die Beine. 1.600 Kilometer weit wollen die Gaukler nun durch den Norden touren. Die Begeisterung beim Publikum sei bisher groß gewesen, sagt Helmstedt. Das Märchen und der Varieté-Abend, das zweite Standbein im Repertoire, hätten gerade soviel Volk gelockt, daß es zum Überleben reichte.

Zwei böse Mächte aber müssen die Gaukler an jedem neuen Ort überwinden: das Schausteller-Gesetz und das schlechte Wetter. Ersteres gestattet der Karawane, drei Tage lang in einer Stadt zu bleiben — und mehr eben nicht. Der Spielplan setzt sich deshalb aus vielen kurzen Gastspielen zusammen.

Auch in Bremen rasten die Gaukler nur kurz: Heute um 21 Uhr geben sie vor dem Schlachthof ihr Varieté-Programm „Die Erika-Show“, morgen geht dann zur gleichen Stunde das „Gauklermärchen“ über die Freilicht- Bühne, inmitten der Wagenburg am Kuhhirten. Wenn nicht Erzfeind Nummer Zwo zuschlägt: Bei Dauerregen geht das Theater den Bach runter. Bisher aber blieb den Gauklern das Glück hold. Nur eine einzige Vorstellung fiel des Wetters wegen aus — die Premiere. Helmstedt nimmt's gelassen hin: „Wenn wir behaupten, es ist gut für uns, draußen zu leben“, sagt er, „dann müssen wir auch mit dem Regen leben.“ tom

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