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Hitler im Ufo über der Antarktis

Der „Esoterische Hitlerismus“ findet weltweit in rechtsextremen Kreisen Zuspruch / Auch die Anhänger der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“, gegründet von Michael Kühnen, hängen solchen Ideen nach  ■ Von Anton Maegerle

Adolf Hitler ist tot – aber das ist ein Irrtum. Die Vertreter des Esoterischen Hitlerismus verehren Hitler als göttliches, unsterbliches Wesen. Um den Hitlerismus auch ins nächste Jahrtausend zu retten, versuchen sie einen positiven, pseudoreligiösen Mythos des „Führers“, der seinen Tod und die Niederlage Nazi-Deutschlands kompensieren soll, zu etablieren.

Mit Erfolg. Hitlerglaube als Religion, gepaart beispielsweise mit der Wahnidee, deutsche Ufos würden von der Antarktis aus zum letzten Gefecht rüsten und nach der Weltherrschaft greifen, findet in rechtsextremistischen Kreisen weltweit wachsenden Zuspruch. Auch die Anhänger der „Gesinnungsgemeinschaft der Neuen Front“, der vom verstorbenen Neonazi-Chef Michael Kühnen gegründeten Kaderorganisation, unter deren Dach nahezu alle relevanten deutschen militanten Neonazigruppen zusammenarbeiten, hängen solchen Ideen nach. In jeder Ausgabe ihrer Postille Die Neue Front geben sie kund, daß sie in Adolf Hitler „den Zeitenwender, die Heilsgestalt der arischen Rasse“ sehen.

Den ersten Versuch, eine systematische Grundlage für eine „Hitler-Religion“ zu schaffen, lieferte die 1982 im südenglischen Essex verstorbene Diplomatengattin Savitri Mukherji alias Devi (Schriftstellername). Ihr 1958 in Kalkutta veröffentlichtes Buch „Pilgrimage“ (Pilgerfahrt) ist gleich entsprechend illustriert. Die Ruinen des Führerbunkers, darüber eine aufgehende Sonne zieren das Umschlagblatt. „Adolf Hitler ist der größte Retter und Führer der Zukunft“, schreibt Devi und vermutet „hinter Ruhm und Tragik seiner politischen Karriere die Essenz ewiger Wahrheit“. Diese „kosmische Wahrheit“ sei nicht nur „älter als Sonne und Sterne“, sondern auch der „göttliche Atem seiner Bewegung“.

Devi, die als Begründerin des Esoterischen Hitlerismus gilt, wurde 1905 in Lyon als Tochter einer britischen Mutter und eines griechischen Vaters geboren. Nach dessem Tod machte sich die zwischenzeitlich promovierte Akademikerin 1932 nach Indien auf. Warum, das schildert sie 50 Jahre später in einem Interview mit der neonazistischen Bauernschaft, veröffentlicht in der ersten Nummer des Jahres 1983. Herausgeber des Blattes ist der in Deutschland per Haftbefehl gesuchte, in Dänemark lebende Auschwitz-Leugner Thies Christophersen. Devi berichtete der Bauernschaft, daß in Indien „noch die alten Traditionen der Arier im Gesellschaftsaufbau und in der geistigen Haltung spürbar wären. Hier sind die ewigen Prinzipien menschlichen Zusammenlebens vielfach noch Selbstverständlichkeiten.“ Die sogenannten „Gleichheitsutopien“, gegen die die Wertkonservativen, die Neue Rechte, die Rechtsextremisten und die Militanten gleichermaßen zu Felde ziehen, könnten sich „in Indien nicht durchsetzen“. „Hier kennt man noch natürliche Hierarchie und weiß, daß das Geistige über allem Materiellen steht“, freute sich die Hitleristin.

Nach der militärischen Befreiung Europas vom Nationalsozialismus reiste Devi in ihr „gelobtes Land“, nach Deutschland. 1949 wurde sie im westfälischen Werl wegen Nazi-Propaganda zu zwei Jahren Haft verurteilt. Die Zeit hinter Gittern nutzte sie, um das Buch „Gold im Schmelztiegel“ zu verfassen – die erste Publikation zum Esoterischen Hitlerismus.

Ihre Message kommt bei den Gesinnungsfreunden an. Sechs Jahre nach Devis Tod nimmt der österreichische Neonazi und Geschichtsrevisionist Gerd Honsik die Nazi-Esoterikerin in sein Buch „Freispruch für Hitler?“ als eine von „36 ungehörten Zeugen wider die Gaskammer“ auf. Honsik wurde bereits mehrfach wegen Volksverhetzung verurteilt, unter anderem wegen des Buches.

Auch Thies Christophersen, einer der letzten noch lebenden führenden Rechtsextremisten, die das „Dritte Reich“ bewußt erlebt haben, greift dankbar Devis Mythos und ihr religiös verbrämtes, biologistisches Weltbild auf. Gerade durch ihre Schriften lerne man „Philosophie, nein, die Religion des Hakenkreuzes ganz klar kennen“. Das Fundament dieser „Philosophie“ seien die „Natur-, d.H. die Gottesgesetze, und die haben immer recht! Und wenn die ganze Menschheit sich dagegen auflehnen sollte, so behalten sie doch recht!“ Deshalb werde der Nationalsozialismus ewig bestehen: „Er lebt oft unbewußt im Herzen eines jeden natur- also gottverbundenen Menschen, in dessen religiöser Schau ein Leben in Harmonie mit den Natur- und Gottesgesetzen gut ist, böse dagegen die Nichtbeachtung, die Übertretung oder Überlistung dieser Gottesgesetze (wie Rassenvermischung, Naturzerstörung, Abtreibung und dergleichen!)“.

An der Spitze der positiven Mythisierung Hitlers steht derzeit der chilenische Hitler-Verehrer Miguel Serrano. 1989 hielt der 76jährige Hitler-Anbeter in Santiago eine Feier anläßlich des 100. Geburtstags des „Führers“ ab. Die Schriften des langjährigen chilenischen Botschafters in Österreich und Indien sind bisher in zehn Ländern erschienen und wurden in vier Sprachen übersetzt.

Serrano sieht in Hitler einen Astralkörper, eine Wesenheit, die im menschlichen Körper in der Lage ist, den Einfluß der Sterne und der ihnen entströmenden Kräfte aufzunehmen. Der von 1939 bis 1945 amtierende Chefredakteur der chilenischen Nazi-Zeitung La nueve edad („Das Neue Zeitalter“) gilt heute als weltweit führender Protagonist des Esoterischen Hitlerismus.

Serrano orientiert sich in seinen Schriften eng an der tibetischen Lehre von den Tulkus. Das sind Wesen, die nach Belieben zur Erde zurückkehren oder sich auf der Erde verkörpern können. Serranos Tulku ist kein anderer als Adolf Hitler und der, davon ist Serrano fest überzeugt, komme wieder, „um eine Mission zu erfüllen“, und sei in der Lage, „sich gleichzeitig in mehr als einem Wesen zu verkörpern“. Übertragen auf die 30er Jahre bedeutet dies, daß zur gleichen Zeit wie Hitler eine ganze Anzahl anderer „Spiegelungen“ auf der politischen Bühne erschien. Benito Mussolini (Italien), Primo de Rivera (Spanien), Jorge Gonzales von Maree (Chile) und Plino Salgado (Brasilien) – alles Verkörperungen des Tulku Hitler.

Gemäß den Ausführungen von Serrano mußte mit Hitlers Tod zwangsläufig auch die Tätigkeit aller rechtsextremer Chefideologen zu Führers Zeiten allmählich enden: „Der Tulku – also Hitler – strahlt von einem höheren Machtzentrum aus, das wie eine gewaltige Sonne alle in sich aufnimmt und sie in sein Feuer und in sein Schicksal hineinzieht. Fällt er, dann fallen alle anderen auch, denn er ist ja Alle. Die Idee eines kollektiven Karmas findet hier seinen höheren, dramatischen Ausdruck.“

Der Mißbrauch tibetischen Gedankenguts, wie er hier bei Serrano zu finden ist, ist nichts Neues. Schon Heinrich Himmler, Reichsführer der SS, hielt sich für die Reinkarnation Heinrichs I. (919–936) und ließ im fernen Tibet nach den Nachfahren der Arier suchen. Diese sollen nach Himmlers Vorstellungen dort in den Bergen nach dem Untergang des legendären „Thule“, der Urheimat der Arier, Zuflucht gesucht haben.

Unangefochtener Bestseller auf dem rechtsextremen Büchermarkt zum Thema „Thule“ ist das 1991 im bayerischen Arun-Verlag erschienene Buch „Die schwarze Sonne von Tashi Lhunpo“. Im April 1992 kürte die in Coburg erscheinende rechtsextreme Monatszeitschrift Nation + Europa das Werk zum „Buch des Monats“. „Thule“ wird darin als Reich einer Rasse mit „unbeschreiblichem Wissen“ bezeichnet, die von den Göttern abstammt. Die Träger dieses „unbeschreiblichen Wissens“ strebten nun zu Ende des 2. Jahrtausends (nach 1933) die Weltherrschaft an. „Die schwarze Sonne von Tashi Lhunpo“ steht dem Esoterischen Hitlerismus sehr nahe, ebenso wie die von Rechtsextremisten jeglicher Coleur gern gelesene „Thule-Trilogie“ des österreichischen Hitler-Fanatikers Wilhelm Landig, Inhaber des Wiener Volkstums-Verlages. Standardwerk des Esoterischen Hitlerismus ist jedoch Serranos Buch „Das Goldene Band“. Der chilenische Ex-Diplomat hat es eigens dem „Führer-Stellvertreter“ Rudolf Hess (der „Gestalt des Glaubenshelden der Hitlerischen Esoterik, dem notwendigen Opfer für die Auferstehung des Mythos“) gewidmet.

Doch Serrano, ein Anhänger der sogenannten Hohlwelttheorie [passend zur Hohlkopfpraxis! d. Säzzer] will nicht nur in die Vergangenheit schweifen. Er ist davon überzeugt, daß der „Führer“ heute noch lebt und zwar in der Antarktis. Hitler habe am 30. April 1945 nicht Selbstmord begangen, sondern sei von einem atomar betriebenen U-Boot – die deutschen Wunderwaffen lassen grüßen – gerettet und ins Land der Pinguine gebracht worden.

In der Antarktis vermutet Serrano einen Zugang zu einer unterirdischen Welt. Hier liege das Thule der Nordvölker, wo die sagenhaften Hyperboreer in ewiger Jugend lebten. 1947/48 machte sich Serrano selbst auf den Weg in die Antarktis, um dort Hitler zu suchen. „Dort glaubte ich, in der Oase der warmen Seen, am Zugang zur unterirdischen Welt, inmitten des ewigen Eises, den Zufluchtsort Hitlers zu finden.“

Serranos Antarktis-Fiktion hat einen reellen Hintergrund. 1938/1939 gab es – unter Führung von Kapitän Alfred Ritscher – eine deutsche Antarktis-Expedition. 600.000 Quadratkilometer Land wurden erforscht, das Gebiet „Neuschwaben“ benannt und zum deutschen Hoheitsgebiet erklärt. Von hier aus erfolgten nun, laut Serrano, reichsdeutsche Operationen, da ja nur die Wehrmacht 1945 kapituliert hätte.

Serrano ist davon überzeugt, daß seit 1945 deutsche Ufos als Aufklärer einer gigantischen Armee unterwegs wären. Gesteuert würden diese von Piloten des „letzten Bataillons“, von dem „Wilden Heer – dem Geistigen Heer Odins“, das „aus gefallenen, nun unsterblichen Helden“ bestehen würde. Am Ende der Überlegungen Serranos steht die ersehnte Rückkehr zu Thule, der Hauptstadt des Hohen Nordens, des Landes der Hyperboreer, der Ahnen der Arier und der Kulturbringer der ganzen Welt. Die Hyperboreer selbst seien vom Himmel gekommen, sie wären Götter oder Halbgötter. Einzige Blutträger der Hyperboreer seien heute noch die Deutschen. Energisch kämpft er deshalb für die Reinhaltung des deutschen Blutes. Denn Blut bedeutet für ihn „die flüssige Sonne, durch die das Gedächtnis der außerirdischen Vorfahren kreist“.

Deutsche Ufos, die von der Antarktis aus die Schmach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg tilgen und eine neue deutsche Weltherrschaft erkämpfen, das ist so ganz nach dem Geschmack einer wachsenden Zahl von Rechtsextremisten im In- und Ausland. So gibt es bereits einen zweistündigen Ufo-Videofilm, zusammengestellt von Mitgliedern der antisemitischen Wiener „Tempelhofgesellschaft“. Einer der Autoren des Videos ist der Wiener Ralf Ettl. Er war auch an der Entstehung des letzten Bandes der Thule-Trilogie von Landig beteiligt. Die Glaubensauffassung der „Tempelhofgesellschaft“ orientiert sich eng an dem Gedankengut des 1954 in Wien verstorbenen Lanz von Liebenfels. Das durchstrukturierte System der Rassenideologie des Zisterzienser-Mönches Liebenfels fand sich später in der NS-Ideologie wieder.

Doch die „Tempelhofgesellschaft“ beschäftigt sich nicht nur mit esoterischen Ufo-Theorien, sondern mischt in der praktischen Politik rechtsextremer Kreise kräftig mit. Großkomptur (Ordensritter) der Gesellschaft ist Hans Günther Fröhlich, ehemals stellvertretender Bundesvorsitzender und Bundesorganisationsleiter der 1986 gegründeten Neonazi-Partei „Die Deutschen“. Sie fusionierte im Juni 1991 mit der Kölner „Republikaner“-Abspaltung „Die Bürger“, die keine Gelegenheit für ihre rassistische Hetzpropaganda ausläßt.

Für 175 Mark wird der Ufo-Videofilm vom Österreicher Michael Damböck unters Volk gebracht. Damböck ist Herausgeber von „Pen Tuisko – Briefe für deutsche Heiden“ und Redaktionsmitglied der Nation, einer bundesdeutschen rechtsextremen Postille, die der NPD nahesteht. Passende Literatur zum Thema Ufos hat der Kölner Adolf Schleipfer parat. Er ist der Großmeister des antisemitischen Armanen-Ordens (AO), der bedeutendsten neugermanischen Glaubensgemeinschaft in Deutschland.

Auch der weltweit führende Protagonist der Auschwitz-Lüge, der Deutsch-Kanadier Ernst Zündel, propagiert über seinen Samisdat-Verlag in Toronto die Ufo- Theorie. Unter dem Pseudonym Christoph Friedrich verfaßte er das Buch „Ufos: Nazi-Geheimwaffen?“. Der Mythos von Hitler in der Antarktis liegt dem Deutsch- Amerikaner George Dietz aus Reedy in West-Virginia am Herzen. Über seine 1973 gegründete „Liberty Bell Publications“ verschickt er neben einschlägiger Literatur aus dem Dritten Reich Enthüllungswerke wie „Deutsche Geheimwaffen“ oder „Hitler am Südpol“.

Die amerikanische Neonazi- Gruppierung „White Cause“, die Kontakte zu den militanten rassistischen „Knights of the Kukluxklan“ unterhält, hält die Bücher von Dietz für so wichtig, daß sie für die „Liberty Bell Publications“ wirbt. Eine Anzeige von „White Cause“ findet sich wiederum in der Frühjahrsausgabe 1992 des Schweizer Skinhead-Magazins Totenkopf. [Eine letzte Frage: Haben die alle noch Platz auf der Therapeutencouch? D. Säzzer]

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