: Mit dem Sommer kommt der Smog
Drastische Steigerung der Ozonkonzentration in Bodennähe / Zusammenhang von Ozon und Allergien bisher nur vermutet / Abhilfe nur durch Fahrverbote möglich? ■ Von Sigrid Arnade
Mit „Radikalen“ haben so viele BürgerInnen ihre Schwierigkeiten, das ist bekannt. Da bilden auch die sogenannten Sauerstoff-Radikale keine Ausnahme, die die Atemwege reizen, Atemnot verursachen und vermutlich die Allergiebereitschaft erhöhen. Und diese Radikalen entstehen aus dem farblosen Reizgas Ozon, dessen Anteil in der Atemluft jährlich steigt.
Mit besonders hohen Konzentrationen des Ätzgases Ozon ist bei gutem Wetter und dichtem Autoverkehr zu rechnen, denn der Luftschädling wird vor allem in Anwesenheit von Autoabgasen unter dem Einfluß von UV-Licht gebildet. Die bei Verbrennungsprozessen auftretende Luftverschmutzung mit Stickoxyden, Kohlenmonoxyd und flüchtigen Kohlenwasserstoffen fördert die chemische Umsetzung des atmosphärischen Sauerstoffs (O2) in das aggressive Ozon (O3). Während die Ozonwerte in Bodennähe um die Jahrhundertwende noch bei 20 Mikrogramm pro Kubikmeter Luft lagen, wurden im vergangenen Sommer schon Spitzenwerte von knapp 400 Mikrogramm gemessen.
Je konzentrierter Ozon in der Luft vorkommt, um so mehr Sauerstoff-Radikale entstehen, erläutert Inge Paulini vom Umweltbundesamt (UBA) in Berlin. Diese Radikale sind aggressiv, sprich reaktionsfreudig, und wollen mit anderen Verbindungen verschmelzen. Insbesondere die Oberflächen von Schleimhäuten werden dadurch verändert und geschädigt, so die Wissenschaftlerin. Die Reaktion von Radikalen ist aber auch ein ganz normaler biologischer Prozeß, um beispielsweise Bakterien abzutöten, erklärt Paulini. Früher seien deshalb Schwimmbäder mit Ozon desinfiziert worden. Es liegt also an der Dosis: Ozon in Maßen schadet nicht. Wer aber viel Ozon über einen längeren Zeitraum einatmet, könnte dadurch die Oberfläche seiner Atemwege und anderer Schleimhäute schädigen. Tränende Augen, Hustenreiz oder sogar Atemnot sind die Folge.
Ein Zusammenhang zwischen Ozon und der steigenden Zunahme von Allergien läßt sich bislang nur vermuten: Nach Angaben des Ozonexperten Helge Magnussen vom Krankenhaus Großhansdorf bei Hamburg reagieren etwa fünf bis zehn Prozent der gesunden Bevölkerung empfindlich auf erhöhte Ozon-Konzentration: „Die Beschwerden ähneln mit Augenbrennen, Nasejucken und Husten einem Heuschnupfen“, sagt der Facharzt für Pneumologie. Ganz sicher ist er sich aber nicht, daß das Reizgas wirklich für die Beschwerden verantwortlich ist, denn der Sommersmog trete meist zur Zeit des intensiven Pollenfluges auf. Magnussen hält es zwar für denkbar, daß Ozon eine Entzündung der Atemwege hervorruft und die Allergiebereitschaft dadurch erhöht, gesicherte Erkenntnisse hierzu gebe es aber noch nicht.
Die UBA-Expertin Paulini berichtet von einer US-amerikanischen Studie, derzufolge das Risiko für einen Asthmaanfall bei sehr hohen Ozon-Konzentrationen leicht erhöht ist. „Ozon verursacht keine Allergie“, betont sie. „Es erhöht bei allergischen Menschen höchstens die Wahrscheinlichkeit, allergisch zu reagieren.“
Exakte Erkenntnisse gibt es noch nicht, sagt auch der Leiter der „Pädiatrischen Pneumologie und Immunologie der Kinderklinik“ der FU Berlin, Ulrich Wahn. Er selbst habe keine Zunahme von allergischen Reaktionen bei Ozon- Smog beobachtet. Meßbar sei aber eine erhöhte Reaktionsbereitschaft der Bronchien unter Ozon- Einfluß. Nachgewiesen sei auch, daß die Überempfindlichkeit gegenüber dem Reizgas im Laufe der Zeit abnimmt, weil ein Gewöhnungseffekt eintritt.
Auch wenn die Wirkungen des Reizgases nicht bis ins Detail geklärt sind, steht doch seine generelle gesundheitsschädigende Wirkung fest. Klar ist auch, wie den jährlich um 10 bis 20 Prozent steigenden Ozon-Konzentrationen zu begegnen ist: Durch Einschränkung des Autoverkehrs. Einer Umfrage des Spiegels zufolge, befürworten 72 Prozent der BundesbürgerInnen ein Fahrverbot bei Ozon-Alarm. Bundesumweltminister Klaus Töpfer hält davon allerdings nicht viel. Aber auch er will die Vorläufersubstanzen des Ozons reduzieren. Dazu sollen noch in diesem Sommer die rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden: Schwellenwerte für Stickoxyde und Kohlenwasserstoffe sollen festgelegt werden und ab 1995 gelten. Solange wollen die Verantwortlichen in einigen Bundesländern nicht warten: Schon für diesen Sommer plant zum Beispiel Hessens Umweltminister Joschka Fischer bei kritischen Ozon-Wetterlagen ein Tempolimit von 90 Stundenkilometern auf allen Straßen und Autobahnen. Geschätzt wird, daß sich die Vorläufersubstanzen des Ozons dadurch immerhin um bis zu einem Drittel reduzieren lassen.
In Berlin ist ein ähnlicher Maßnahmenkatalog noch nicht mehrheitsfähig, bedauert Bernd Köppel, der für die Grünen/Bündnis 90 im Abgeordnetenhaus sitzt. Nach den Vorstellungen seiner Fraktion müßte der Individualverkehr bei Sommersmog halbiert werden. Köppel erklärt, daß die Katalysatortechnik nicht die erwarteten Erfolge gebracht habe: „Der Katalysator braucht hohe Temperaturen, um überhaupt zu wirken. Die ereicht er im Stadtverkehr nicht.“
Der Umweltmediziner Köppel empfiehlt, bei Sommersmog körperliche Anstrengungen im Freien zu vermeiden. Das gilt vor allem für Kinder, empfindliche und alte Menschen. Darüber hinaus hält der Facharzt Magnussen eine schützende Wirkung von Substanzen, die die aggressiven Sauerstoff- Radikale binden und damit unschädlich machen, für denkbar. Ein Mittel mit solcher Schutzwirkung wäre das Vitamin E. Tierversuche haben nach Magnussens Angaben derartige Vermutungen bestätigt. Davon hält Köppel jedoch nichts: „Ähnlich wie die Jodempfehlung gegen Radioaktivität wird dadurch suggeriert, man könne dem Ätzgas wirkungsvoll begegnen. Das ist eine Illusion. Die Ursache muß bekämpft werden!“
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