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Millionen Menschen könnten gerettet werden

■ Weltbank: Reiche und Pharmafirmen verhindern Gesundheitsversorgung

Bonn (epd/taz) – Durch Reformen in der Gesundheitspolitik könnten nach Schätzungen der Weltbank in den Ländern des Südens „Millionen Menschenleben gerettet und Milliarden US-Dollar eingespart werden“. Die Entwicklungsländer sollten insbesondere den Mädchen bessere Bildungschancen einräumen, die medizinische Grundversorgung ausbauen und eine solide gesamtwirtschaftliche Politik verfolgen, „die die Armen begünstigt“, heißt es in dem gestern in Bonn und Washington veröffentlichten Weltentwicklungsbericht 1993. Teure medizinische Apparate und Spezialkliniken nützten hingegen ausschließlich den Reichen, kritisieren die Autoren.

Zur medizinischen Mindestversorgung, die in allen Staaten gewährleistet sein müsse, zählt die Weltbank Schutzimpfungen, Schwangerenbetreuung, Geburtshilfe, Familienplanung, Erstversorgung erkrankter Kinder sowie einfache Behandlungen von Tuberkulose und Geschlechtskrankheiten.

Entscheidend für die Verbesserung der Gesundheitssituation seien in einem Entwicklungsland nicht Leistungen in der Herzchirurgie, sondern Impfungen und regelmäßige Untersuchungen an Schulen, Informationen über Familienplanung und Ernährung, die Aids-Prävention sowie Programme zur Reduzierung des Tabak- und Alkoholkonsums. „In Ländern mit niedrigen Einkommen würde dieses Minimalprogramm nur zwölf Dollar pro Kopf kosten und die gegenwärtigen Krankheitsbelastungen um etwa 25 Prozent reduzieren.“

Dem Bericht zufolge gibt es trotz enormer medizinischer Fortschritte in den Entwicklungsländern immer noch viele Krankheiten, Behinderungen und Todesfälle, die mit geringen Kosten vermeidbar wären. Hierfür sollten die knappen staatlichen Mittel eingesetzt werden, fordert die Weltbank. In Wirklichkeit profitierten in fast allen Entwicklungsländern die Reichen jedoch mehr von staatlichen Gesundheitsleistungen als die Armen. „In manchen Ländern verbraucht ein einziges Lehrkrankenhaus 20 oder mehr Prozent des Etats des Gesundheitsministeriums.“ Vielfach subventionierten die Regierungen Krankenversicherungen, die sich nur eine wohlhabende Minderheit leisten könne. Ein großer Teil der Gesundheitsausgaben werde durch Mißmanagement oder den Kauf teurer pharmazeutischer Markenpräparate statt billiger Ersatzprodukte verschwendet.

1950 wurden die Menschen in der Dritten Welt nach Weltbank- Angaben im Durchschnitt 40 Jahre alt. Bis 1990 hatte sich ihre Lebenserwartung auf 63 Jahre erhöht. Nie zuvor in der Menschheitsgeschichte habe es einen derart rapiden Anstieg der Lebenserwartung gegeben, schreiben die Autoren des Weltentwicklungsberichts. Noch immer sei die Kindersterblichkeit in Entwicklungsländern aber zehnmal höher als in den Industriestaaten. Rund 400.000 Kinder müßten jährlich an Komplikationen während der Schwangerschaft und Entbindung sterben. Die Müttersterblichkeit sei durchschnittlich 30mal so hoch wie in den reichen Ländern.

„Auf den ersten Blick mag die Anwendung der zentralen Empfehlungen des Berichtes ein leichtes sein“, schreibt die Weltbank zu den Umsetzungschancen ihrer Forderungen. In der Realität stehe dem jedoch eine Phalanx von Interessengruppen entgegen, die Einbußen befürchte – „von den Anbietern medizinischer Leistungen über reiche Begünstigte der staatlichen Subventionen bis hin zu den Pharmafirmen“.

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