: Rebellische Tanten, gestiefelte Töchter
Höhen und Tiefen feministischer Filmkritik bei der 4. Europäischen Sommerakademie in Berlin ■ Von Dorothee Wenner
Im Unterschied zu Männern machen Frauen Frauenfilme, dagegen hilft kein Opponieren. Das merkt man daran, daß zum Beispiel Katja von Garnier nicht müde wird zu betonen, ihr Film „Abgeschminkt“ habe mit Feminismus nichts zu tun. Die Jungregisseurin bemüht sich um die größtmögliche Distanz zu ihren Vorgängerinnen, wohlwissend, daß auch ihr Film an dem unsichtbaren, exklusiv-weiblichen Paradigma gemessen wird. Als Musterschülerin der neuen Twen-Generation hat von Garnier gelernt, daß hierzulande Frauenfilm gleichgesetzt wird mit öder Rumjammerei und entsprechend niedrigen Einschaltquoten. Die vier gestandenen Feministinnen, die von der Filmemacherin Jutta Brückner in die Berliner „Sommerakademie“ eingeladen worden waren, verhielten sich zum allgegenwärtigen male backlash wie liberale Mütter. Zwar gefaßt auf den Akt der Revolte, schienen sie als verdiente Wegbereiterinnen jedoch auch ein wenig enttäuscht über die aggressive Mißachtung von seiten der Erfolgreichen in der Töchtergeneration.
„Filmkritik und die Filme von Frauen“ lautete der Titel des gut besuchten, eintägigen Colloquiums, zu dem sich die Crème der feministischen Filmtheorie versammelt hatte: Kaja Silverman aus den USA, Laura Mulvey aus Großbritannien und Gertrud Koch aus Frankfurt sowie die Exil-Ungarin Yvette Biro als Drehbuchautorin und Praktikerin. Mit einem immer noch „eklatant begrenzten Bewertungsspektrum“, so hieß es in Jutta Brückners Einladung, würden „in der Filmkritik und damit in der öffentlichen Meinung“ Filme von Frauen beurteilt. Doch schon bei den unterschiedlichen Definitionen der Krise wurde klar, daß die Lösungsschritte nicht in die gleiche Richtung führen würden. Jutta Brückner beklagte in einer „Polemik“ zur Eröffnung der Diskussion, daß Geschmack zum alleinigen Urteilskriterium avanciert sei. Film würde dabei immer offensichtlicher wie ein standardisiertes „Markenprodukt“ behandelt, insofern Abweichungen von der „Norm“ nur noch in gewissen Grenzen „erlaubt“ seien. Zumindest aus der Perspektive der vielen, zu PR-Handlangern degenerierten Kritiker.
In Brückners Analyse verbirgt sich ein statischer, räumlicher Öffentlichkeitsbegriff, der Macht und Kontrolle über zum Beispiel Meinungen und Trends in Sachen Film auf etwas altmodische Weise an (männliche) Personen bindet. Nach Auffassung von Gertrud Koch aber funktoniert die Trennung von Öffentlichkeit und Privatsphäre längst nicht mehr im klassisch Habermasschen Sinne. „Die Forderung der Feministinnen, den öffentlichen Raum zu erobern, war vor 20 Jahren eine gute und richtige Strategie. Aber der öffentliche Raum hat sich in letzter Zeit stark verändert: die öffentliche Sphäre ist immer stärker privatisiert worden. Wenn wir uns heute über die Zielgruppe feministischer Filme Gedanken machen, dann kann es nicht mehr um 20 oder 30 Kinozuschauerinnen gehen. Viel realistischer ist es, von der alleinerziehenden Mutter auszugehen, die einsam vor dem Fernseher sitzt, während ihr Kind schläft und sie selbst an zukünftige Liebhaber denkt.“
Das Fernsehen als Forum feministischer Aktivitäten spielte auch in Laura Mulveys Referat eine wichtige Rolle. Als Anfang der achtziger Jahre mit dem rigorosen Thatcherismus die gesamte britische Independent-Szene unterzugehen drohte, wurde der Fernsehsender „Channel4“ gegründet. Eine Insel für Schiffbrüchige, auf der Filmemacherinnen – wie sich später herausstellte – sehr viel massenwirksamer arbeiten konnten als in der kleine Off-Kino-Szene. Die vorangegangene Dekade, die siebziger Jahre, lassen sich selbstverständlich nur retrospektiv als das beschreiben, was Mulvey mit ironischen Unterton das „Golden age des Feminismus“ nannte. Es war die Zeit des Filmfestivals von Edinburgh 1972, als alle an einem Strang zogen – zum Beispiel gegen Miss-World-Kürungen und frauenfeindliche Werbung. Der 16-mm-Film erlebte damals seine Blüte, man experimentierte voller Enthusiasmus mit neuen Formen, Längen und Stilen. Die Filmerfolge von damals waren jedoch – so Mulvey – keine zufällige Anhäufung ästhetischer Geniestreiche, vielmehr verdankt der frühe feministische Film seine Popularität einer engen Verkoppelung mit den zentralen sozialen und ökonomischen Themen der Frauenbewegung. Die Besinnung auf diese politische Tradition schlug Mulvey als Weg aus der Krise vor: „Gegenwärtig sind wir in einer Periode des Rückzugs. Wir sollten uns aber gerade in dieser Zeit des Umbruchs etwas von der Theorielastigkeit entfernen und statt dessen wieder stärker mit den politischen, wirtschaftlichen und sozialen Realitäten auseinandersetzen.“
Am pragmatischsten im Sinne von Anregungen und Ermutigungen war das Referat von Kaja Silverman. Der feministischen Filmtheorie in den USA sei unlängst zum Beispiel ein ziemlicher Coup gelungen, als der renommierte Verlag „Indiana University Press“ zustimmte, eine Reihe von Monographien über Regisseurinnen herauszugeben. Silverman schlußfolgerte nach einer Kurzanalyse von vier Filmen, darunter Ulrike Ottingers „Bildnis einer Trinkerin“, daß die feministische Theorie sehr viel spannender werden könnte, wenn sie sich mehr von der feministischen Filmpraxis inspirieren ließe. Im Unterschied zu den meisten europäischen Ländern mangelt es den Amerikanerinnen offenbar nicht an Lob und Anerkennung. Sogar Hollywood-Regisseure – so Silverman – lesen die wichtigen Neuerscheinungen der feministischen Filmtheorie, und sei es nur aus Angst, irgendwelche wichtigen Trends zu verpassen. Aus der vormaligen Ghettogemeinschaft hat sich mittlerweile eine Ingroup entwickelt. An diesem Flair erkennt man wohl, auf welcher Seite des Atlantiks man sich befindet. In den USA ist die Kontinuität zwischen den Generationen der Frauenbewegungen viel ausgeprägter als in Deutschland, wo Karrierebewußtsein der Jüngeren und feministisches Engagement sich auszuschließen scheinen. Kaja Silverman, die viel Zeit in Deutschland verbracht hat, meint in den unterschiedlichen Universitätsstrukturen einen Grund für dieses abweichende Verhalten gefunden zu haben. „Women's Studies“ gibt es an jeder Provinz-Uni und außerdem wird man in den USA nicht erst dann Professorin, wenn man schon grauhaarig ist und jeden biographischen Bezug zur Studentengeneration verloren hat.
In diese „akademische Marktlücke“ paßt der heimliche Anlaß des Colloquiums, nämlich Jutta Brückners Idee, in Berlin ein „Europäisches Institut für Frauen und Film“ zu gründen. Es soll ein Forum für die praktische und theoretische Filmarbeit europäischer Filmhochschulen werden. Zwar gibt es noch keine Geldgeber und vergleichbare praktische Unterstützung, aber die „Sommerakademie“ hat bewiesen, daß dort, wo sich die rebellischen Tanten mit den ungleichen Töchtern der Frauenbwegung auseinandersetzen, ein interessanter Treffpunkt zu werden verspricht. Das allein reicht zunächst, die Idee eines solchen Instituts gutzuheißen.
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